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Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman

Titel: Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette John
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Sie löste eine Nadel aus ihrem Haar, bohrte sie in den Bauch der Ente und im selben Moment begann Bumbum entsetzlich zu schreien. Clarisse bewegte die Nadel hin und her, kein Kind hat je so geschrien. Sie zog die Nadel heraus. Bumbum sackte wimmernd zusammen.
    »Nun?«, fragte Clarisse lächelnd. »Noch mal?« Die Nadel näherte sich dem Stoffbauch des Tieres. Lulus Verstand weigerte sich zu begreifen. O sicher, er registrierte, speicherte die Erinnerung. Bis an ihr Lebensende sollte sie sich an Bumbums Schreie erinnern. Doch als es geschah, blendete ihr Verstand sich aus. Die Nadel bohrte sich in die Ente, Bumbum schrie, Wanda schaute um sich wie ein gehetztes Tier, ihr Blick traf den Damianos und wurde ruhig. Ganz leicht schüttelte sie den Kopf. Sie wollte nicht, dass er sie ansah, während sie sprach. Die Hexenkinder würden von den Trümmern des Turms begraben werden, sie aber würde sich vorher noch in eine monströse Mumie verwandeln. Damiano schloss die Augen, Wanda begann zu sprechen.
    »Häusch…« , sagte sie, da unterbrach sie ein Knall. Nicht mal ein besonders lauter, er klang eher wie ein Peitschenknall. Clarisse schrie gellend auf und kippte zur Seite, die Nadel fiel ihr aus der Hand, die Falknerstange schepperte zu Boden, der Falke flatterte umher, blind unter seiner Haube. Zwei Männer keuchten den Weg herauf, ein dicker und ein dünner. Der Dicke hielt eine kleine Pistole in der Hand und ihr Lauf rauchte noch.
    »Wir kommen!«, stießen sie hervor. »Wir kommen!« Doch sie konnten nicht heran, der Bann hielt sie auf Distanz, wenige Schritte nur, aber entscheidende Schritte. Und Clarisse war nur leicht am Oberarm getroffen, rappelte sich hoch. Churro hob erneut die Pistole.
    »Nein«, schrie Ellwin, »zu gefährlich, wir brauchen sie lebend!«
    Clarisse schaute auf, ihr Gesicht war vor Schmerz und Wut verzerrt, doch ein böses Lächeln stieg in ihre Augen, sie öffnete den Mund. Da hatte Ralf seine Sternstunde. Wie eine pelzige Kanonenkugel flog er auf sie drauf, mitten in ihr Gesicht hinein. Er krallte sich in ihr fest, in ihrem Haar, in ihrer Haut, stopfte ihr mit seinem Wuschelfell den Mund, sie konnte den Spruch nicht sagen, sie konnte nur tonlos würgen. Wie ein Aal im Salzfass wand sie sich, versuchte sich zu befreien, doch Waschbärenkrallen sind lang und stark.
    Die Kinder sahen sie zappeln und strampeln, hörten sie würgen, ihre Bewegungen wurden fahriger, krampfiger, das Würgen schrecklicher. Ralfs Fell war mit Churros Lösungsmittel getränkt, es machte sie benommen, lähmte ihre Kampfkraft. Doch wie lange würde das gut gehen, man musste eingreifen, doch keins der Kinder konnte sich bewegen! Die Männer konnten sich bewegen, doch nicht bis zu ihnen durchdringen.
    Da stellte sich Else auf. »Versunen de wonnen vun fehn!« , rief sie trotzig und entschlossen. Nichts geschah. Sie wiederholte den Spruch. Wieder nichts. »Ich kann es nicht! Es ist ein Gedankenspruch. Ich habe die Gedanken vergessen!«, schluchzte sie verzweifelt.
    »Denk an Rosen!«, rief Rafaela.
    »Zu einfach!«, rief Damiano. »Denk an Wolken!«
    »An Wasser!«, schrie Wanda.
    Lulus Gedanken überschlugen sich. An was musste man denken, um jemanden loszusprechen? Was entsprach am besten dem Gefühl von plötzlicher Freiheit? In Bruchteilen von Augenblicken zogen Mengen von Bildern durch ihren Kopf, ein Schmetterling, der zum ersten Mal seine Flügel entfaltet, ein Kind, das nach langen Unterrichtsstunden über eine Wiese tobt, Corina, wie sie aus ihrem Käfig flog.
    »Spiegeleier«, rief Else und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. Sie schloss die Augen in höchster Konzentration. »Versunen de wonnen vun fehn« , sprach sie laut und deutlich. Diesmal wirkte es. Der Bann brach zusammen. »Sie hat ihre Sprüche immer mit Gedanken ans Essen kombiniert«, sagte Else. »Sie liebt es zu essen. Hat ja auch fast hundert Jahre lang nichts bekommen.«
    Niemand hörte ihr zu. Alle stürzten zu Ralf, der immer noch tapfer kämpfte und dabei jämmerlich jaulte. Die Mädchen umklammerten Clarisses zuckende Glieder, Churro tränkte sein Taschentuch mit einer klaren Flüssigkeit aus einer Flasche, die er aus seiner Jackentasche zog. »Eins, zwei und drei!«, kommandierte er. Bei drei löste Damiano den Waschbär von Clarisses Gesicht und Churro drückte ihr das Tuch auf die Nase. Sie kämpfte nur kurz, dann lag sie still und wehrte sich nicht mehr, als sie mit Gürteln gefesselt und Churros Halstuch geknebelt wurde. Es war vorbei.

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