Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
Worte und draußen in den Feldern funkelten ein paar Blüten mehr. Nächste Seite, das gleiche Szenario – die Sprüche änderten sich, die Kinder wechselten sich ab, doch es geschah immer das Gleiche – mehr leuchtend rote Blüten in den grauen Feldern um den Turm.
»Das ist doch …«, Lulu fuhr sich ratlos durch die Haare.
»Verboten ist das!«, rief Rafaela empört. »Hexensprüche in ein Sprechendes Buch zu packen, das ist ganz streng verboten. Hexensprüche dürfen nur im Kopf von Hexen sein, sonst nirgends! Da könnten ja …«
»Schon klar«, unterbrach sie Damiano. »Schreckliche Dinge könnten geschehen, wenn Hexensprüche so leicht zu haben wären. Aber das«, er zeigte auf das Buch, das weiter vor sich hin murmelte und mit jeder neuen Seite neu erwachende Rosen zeigte, »das ist doch Kleinkram!«
»Wie bitte?«, fragte Rafaela scharf.
»Versteh mich nicht falsch, Hexensprüche in einem Sprechenden Buch sind sicher ein schlimmer Verstoß gegen die Hexengesetze, aber das hier sind bloß Gärtnersprüche. Wir haben Lulus Leben riskiert für ein paar Gärtnersprüche!«
Nun ja, das war nicht zu leugnen. Allerdings gab es einen Turm in dem Buch. War es dieser Turm, in dessen Ruinen sie jetzt kauerten? Neugierig blätterte Lulu die Seiten um, und plötzlich – plötzlich ertönten die Worte, die sie so gut kannte: »Häuscher af busch, häuscher af rossen. Vun seven af seven af seven. Sin ville de …« Lulu knallte das Buch mit einer Wucht zu, als gälte es, tausend Taranteln zu zerquetschen.
»Vergiss es!«, schrie sie Wanda an. »Vergiss sofort jede Silbe!«
Wanda nickte, weiß vor Schreck.
Alle schwiegen. Nur die Alte wimmerte leise, weil das hübsche Spielzeug, das goldene Buch, so plötzlich zum Verstummen gebracht worden war.
»Jetzt wissen wir, wie es passiert ist«, sagte Rafaela nach einer Weile. Ihre Stimme klang belegt, sie räusperte sich. »Jemand hat den Fluch in dieser Sammlung von Segenssprüchen versteckt. Clarisse hat das Buch gefunden und bestimmt ganz begeistert die Sprüche vom Turm aus in ihre Felder gerufen, bis sie zu der Seite mit dem Fluch kam. Und dann …«
»Bumbum!«, rief Bumbum.
»Genau.«
»Ob Mama den Spruch in das Buch gesteckt hat?«, überlegte Lulu.
»Seid mal kurz still!« Damiano lauschte nach draußen. »Hört ihr das auch?«
Da war etwas wie unterdrücktes Kichern. Und während sie erstaunt lauschten, wandelte es sich in ein klingendes, silberhelles Lachen.
Sie sprangen auf, wollten hinaus, doch mitten im Gehen erstarrten sie. Zwei Frauen saßen draußen im Moos. Die eine war ältlich und dick, es war Else, die Köchin. Die andere war jung und schlank und wunderschön. Silberne Spangen glänzten in ihrem Haar, silberne Glöckchen blitzten in den Ohrläppchen, ihr blaues Seidenkleid umfloss sie wie ein Wasserfall, die blauen Augen strahlten. Sie war es, die gelacht hatte. Sie lachte immer noch.
»Fehn af de wonnen« , gluckste sie. In ihrer rechten Hand hielt sie eine Falknerstange, darauf hockte ein Jagdfalke mit einem Häubchen auf dem Kopf. Diamantsplitter zierten es und ein winziger Federbusch. Mit seinem scharfen Krummschnabel wirkte der Vogel wie ein strenggesichtiger, gefiederter General.
Ein Röcheln brodelte aus der Kehle der Greisin, sie schlug sich die Hände vors Gesicht. Lulu wurde es sehr kalt. Es schien, als verwandele sie sich in Eis. An den Füßen fing es an und stieg langsam hoch, bis zur Brust, bis zu ihrem Herzen.
Das schöne Mädchen warf fröhlich den Kopf zurück und schüttelte sein Blondhaar. Mit der Linken strich es zärtlich über das Gefieder des Falken.
»Ruh dich aus, mein Lieber«, sagte es. »Du warst sehr lange unterwegs.«
»Ihr seid Clarisse«, sagte Lulu. Selbst ihre Stimme klang wie Eis.
»So hieß ich früher«, erwiderte die Schöne, »heute bin ich Anassia Bolin. Bald nennt man mich Hoheit und in nicht sehr ferner Zukunft Majestät.«
»Ihr werdet nicht damit durchkommen«, sagte Rafaela. Auch ihre Stimme klang fremd, als müsse sie durch Watte reden. »Ihr könnt Euch nicht immer vor den anderen Hexen verstecken. Früher oder später wird Euch eine begegnen.«
»Das habe ich längst geregelt«, lächelte Clarisse. »Auch Hexen sind käuflich, weißt du. Ein paar jedenfalls, und ich brauche ja nur ein paar. Sie wollen ein Stück vom Kuchen abhaben und sie werden ein Stück bekommen. Das nennt man Politik, meine arme Kleine.«
»Das nennt man ein Verbrechen«, entgegnete Rafaela.
Clarisse lachte. Sie
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