Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
durch Büsche und Sträucher. Die Greisin war erschöpft. Immer wieder hockte sie sich einfach auf die Erde und wollte keinen Schritt mehr tun, einmal schlief sie sogar ein und schnarchte leise. Schließlich löste Churro das Problem, indem er sie sich über die Schulter legte, gerade so wie Ellwin es mit Clarisse getan hatte. Zwar war es würdelos für eine Greisin, so transportiert zu werden wie ein Sack Rüben, aber wenigstens kamen sie voran.
Der Pfad endete vor einem Mäuerchen. Sie stiegen darüber und standen am Rand eines breiten Weges. Selbst in der Dunkelheit der Nacht konnten sie mühelos erkennen, dass sie nun im offiziellen Teil des Parks angelangt waren. Hier gab es kein Dickicht, in dem man sich verstecken konnte, nur weite, offene Flächen, aufgelockert von kleinen Teichen, Rabatten oder uralten Baumriesen, deren Stämme gerade und blattlos wie Säulen in den Nachthimmel ragten.
»Netter Geheimweg«, flüsterte Rafaela verdrossen.
Doch Else bedeutete ihr still zu sein, lauschte kurz in den Park hinein und huschte, nachdem sie nichts vernahm als das leise Säuseln des Windes, über den Weg, wo sie in tiefer Dunkelheit verschwand. Für Verblüffung war keine Zeit, sie huschten hinterher, und das geheimnisvolle Dunkel entpuppte sich als Labyrinth, ein Gartenlabyrinth aus dichten, schwarzen Eibenhecken. Schnell fassten sie sich an den Händen, bildeten eine Kette, damit niemand verloren gehen konnte. Else und der eifrige Ralf übernahmen die Führung. Winzige, ganz schwach leuchtende Steinchen wiesen ihnen den Weg. Clarisse hatte sie ausgelegt, erklärte Else flüsternd. Tagsüber seien sie von einer fahlbläulichen Farbe, nur schwer von den gewöhnlichen Kieseln zu unterscheiden, aus denen die Pfade des Labyrinths bestanden.
Sie bog ein paar Eibenzweige auseinander und bedeutete ihnen, hindurchzutreten. Da schien ein altes Gemäuer zu sein, gleich hinter der Hecke, sehen konnten sie nichts, das Mondlicht drang nicht in diesen schattigen Winkel, doch es roch nach feuchten, moosigen Mauersteinen und modrigem Mörtel. Das leise Klirren eines Schlüsselbundes erklang aus Elses Richtung und eine weitere Pforte öffnete sich in ein steiles, von trübem Gaslicht schwach erhelltes Treppenhaus.
»Da hinauf«, wies Else sie an und mahnte sie, so leise wie möglich zu sein. Sie gaben sich redlich Mühe, aber es war nicht leicht. Die hölzernen Stufen knarrten, und die beiden Männer keuchten unter ihrer jeweiligen Last, vor allem Churro, denn die Alte war erstaunlich schwer. Die letzten Stufen der Treppe erstürmte er im Laufschritt, doch oben war ihr Weg noch nicht zu Ende. Immer weiter hasteten sie hinter Else her, durch einen schier endlosen Gang mit unzähligen Biegungen bis zu einer unscheinbaren Tür ohne Klinke. Diese war offensichtlich ihr Ziel.
Else flüsterte, dass sie alleine vorgehen müsse, um zu prüfen, ob die Luft rein sei, und fummelte im Seitenritz des Türblatts herum. Es knackte, die Tür öffnete sich und Else verschwand. Niemand sagte etwas, doch alle dachten das Gleiche: Was, wenn sie uns verrät! Was, wenn sie die Palastwache alarmiert! Ein paar überaus unangenehme Augenblicke verstrichen.
Aber die Köchin verriet sie nicht. Sie öffnete die Tür von innen und ein wunderschönes Zimmer lag vor ihnen. Die schweren Vorhänge waren geschlossen, ein paar Lampen brannten. Ihr Schein fiel warm auf Polstermöbel und hübsche kleine Tische, Kommoden, Wandborde voller Kristall und Porzellanfiguren, Gemälde und Teppiche. Ein zarter Duft nach Rosen hing im Raum.
»Das ist Clarisses Wohnzimmer«, sagte Else nicht ohne Stolz.
»So lässt sich’s leben«, murmelte Wanda.
Staunend bemerkte Lulu, dass von der Tür, durch die sie gekommen waren, im Zimmer nicht das Geringste zu sehen war. Sie passte sich nahtlos ein in die Holztäfelung der Wand.
Mit zwei tiefen Seufzern ließen die Männer ihre Last auf die Polster sinken. Die greise Anassia schaute sich mit weit aufgerissenen Augen um, bemüht zu begreifen. Manchmal glitt ein Lächeln über ihre Runzeln. Else zündete das vorbereitete Feuer im Kamin an und servierte auf einem Tablett kleine Gläschen mit einer goldenen Flüssigkeit, Likör, wie sie sagte. Er war süß und wärmte den Bauch. Sogar Bumbum durfte ein halbes Fingerhütchen davon nippen. Churro ließ sich in einen Sessel fallen und winkte Else mit seinem Glas, damit sie es nachfülle.
»Mach es dir nur gemütlich, Dicker«, sagte Ellwin. »Schließlich haben wir ja heute nichts
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