Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
Wanderstock auf. Neben ihr lief eine fette, schwarz-weiße Katze.
»Evchen!«, rief Lulu.
»Genia!«, rief Churro.
Auf kurzen Beinchen eilte die Katze auf sie beide zu. Doch die Entscheidung, auf wessen Schoß sie springen sollte, überforderte selbst eine solch große Zauberin. Ratlos blieb sie stehen und leckte sich das Brustfell.
»Ihr da!«, kommandierte Jovinda. »Setzt euch nebeneinander auf die Bank, dann kann Evchen mit euch beiden schmusen!«
Sie taten wie geheißen. Evchen streckte sich auf ihrer beider Schöße aus und schnurrte wie ein Nähmaschinchen.
»Wieder im Land?«, fragte Graviata spöttisch.
Jovinda nickte. »Evchen meinte, es sei Zeit, die alte Geschichte abzuschließen. Außerdem hatten wir Sehnsucht nach daheim. Wir wollen nicht mehr auf der Flucht sein. Wenn die Hexenpolizei uns will, soll sie kommen!« Trotzig hieb sie den Stock auf die Erde.
»So schlimm wird’s schon nicht werden«, sagte Graviata. »Ich kann ein Wort für euch einlegen. Die Exzellenzen schulden mir einen Gefallen.« Sie zeigte auf einen freien Stuhl. Jovinda setzte sich mit einem Seufzer. »Meine Füße schmerzen und mein Rücken auch. Langsam frage ich mich, ob ich das mit dem Altern nicht doch übertrieben habe. Erzähl die Geschichte, Mièle! Deine Kinder haben ein Recht darauf und alle, die dir geholfen haben, auch!«
»Nenn mich nicht Mièle«, fauchte Graviata.
»Wenn du sie nicht erzählst, erzähle ich sie. Ich kenne sie gut!«, gab Jovinda ungerührt zurück.
Graviata schwieg.
»Also gut«, krächzte Jovinda. »Es war einmal vor langer Zeit …«
»Hör auf!«, rief Graviata. »Das ist ja nicht zum Aushalten! Da erzähle ich sie schon lieber selbst! Aber vorher muss ich mir noch etwas Mut antrinken!« Sie reichte Churro ihren Becher und er goss ihr ein.
Graviata nahm einen tiefen Schluck. »Also, ihr habt es so gewollt. Hört die Geschichte vom Rosenhaus!«
18. Kapitel
D amit ihr die Zusammenhänge versteht, muss ich etwas ausholen. Meine Familie stammt nicht aus diesem Land. Sie lebte im Nachbarland, wo man von Hexen nicht viel hielt. Heute ist es besser geworden, habe ich mir sagen lassen, aber damals hasste man Hexen geradezu. Man glaubte, dass sie ihre Kunst nur zum Bösen einsetzten. Alles Schlimme, das geschah, Kriege, Hungersnöte, Seuchen, alles schrieb man den Hexen zu. Dabei gab es in jener Zeit nicht sehr viele dort. Jede Hexe, die etwas auf sich hielt, verließ das Land. Die wenigen, die blieben, mussten ihr Handwerk im Verborgenen ausüben. Wenn eine junge Frau sich trotz aller Widrigkeiten entschloss, eine Hexe zu werden, brachte sie Schande über ihr Haus. Sie wurde verstoßen, ihre Familie geächtet.
So war es auch im Haus meiner Mutter. Als herauskam, dass ihre ältere Schwester eine Hexe geworden war, trieb mein Großvater sie aus dem Haus und verbot ihr, jemals wiederzukommen. Sie sei nicht mehr seine Tochter, gab er öffentlich bekannt, niemand dürfe mehr ihren Namen nennen, der sei auf sein Betreiben hin aus allen Gemeinderegistern entfernt worden. Aber selbst das konnte nicht verhindern, dass die Familie geächtet wurde. Ihre Geschäfte gingen schlecht, niemand lud sie mehr ein, sie vereinsamten, und meine Mutter fürchtete, nie einen Mann zu finden. Darum sagte sie vermutlich dem ersten zu, der um ihre Hand anhielt.
Er war ein Bauer aus einer anderen Provinz, der auf Brautschau das Land durchreiste. Meine Mutter gefiel ihm, sie war schön, und er wusste, dass sie ihm eine demütige, gehorsame Frau sein würde, ewig dankbar, dass er sie erwählt hatte, obwohl sie aus einer geächteten Familie stammte. Sie heirateten schnell und meine Mutter folgte ihm in seine Heimat, auf seinen Hof. Sie bekam zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, meinen Bruder Robert und mich. Mein Name war Mièle, nach der Mutter meiner Mutter.
Das Leben auf dem Hof war hart. Mein Vater schuftete schwer von früh bis nachts. Auf dem Hof war er der Alleinherrscher, sein Wort war Gesetz. Er hätte es in der Hand gehabt, unser aller Leben ein wenig angenehmer zu machen, auch sein eigenes, aber er tat es nicht. Er war ein verschlossener, hartherziger Mann. Nicht ein einziges Mal habe ich gesehen, dass er eine zärtliche Geste meiner Mutter gegenüber machte, nie gab es ein liebes Wort. Und uns Kindern gegenüber war er genauso. Er befahl, wir gehorchten. Wenn nicht, setzte es Prügel. Meine Mutter fügte sich ihm, nie begehrte sie auf und mit der Zeit wurde sie genauso verschlossen und hart wie
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