Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
richtigen Namen, Grigorio, rief. Das war schön und gut, aber auch ein kleines bisschen traurig. Wieder so ein Ding mit der Zeit. Sie ging weiter, ob man wollte oder nicht.
Damiano wusste immer noch nicht genau, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Vorerst ging er bei Churro in die Lehre. Sein Vater sagte oft, er sei begabt, doch Damiano fand Porträts langweilig. Er träumte davon, mit ganz neuen Gemälden die Kunstwelt zu revolutionieren, was immer das heißen sollte.
Rafaela war fest entschlossen, eine ebenso berühmte Hexe wie ihre Mutter zu werden. Graviata hatte begonnen, sie zu unterrichten, sie und Wanda, denn auch Wanda wollte Hexe werden. Natürlich hatte Graviata keinen Augenblick gezögert, sie zu adoptieren. Sie lebte bei ihnen, ganz selbstverständlich, als wäre es schon immer so gewesen, als hätte Graviata immer schon drei Töchter gehabt. Dass Wanda als zukünftige Hexe lesen und schreiben konnte, störte Graviata nicht. Zurzeit lernte sie erst die Sprüche der niedrigen Ordnung und später würde man weitersehen.
Lulu wusste noch nicht, was sie wollte, nicht richtig jedenfalls. Sie hatte ja auch noch Zeit, sie war erst zwölf Jahre alt. Aber wenn jemand sie aufgefordert hätte, ganz schnell zu sagen, ohne zu überlegen, an welchem Ort sie am glücklichsten wäre, hätte sie vermutlich gesagt: »In Ellwins Haus, weil dort so viele Bücher sind.« Und danach hätte sie ein schlechtes Gewissen gehabt, weil ihr diese Äußerung wie Verrat gegenüber Graviata vorgekommen wäre. Gut, dass niemand fragte. Sie wusste ohnehin, dass Graviata bekümmert war, weil mindestens zwei ihrer Kinder nichts von Zauberei wissen wollten.
Gerade jetzt sprach sie mit Ellwin darüber. »Erst Damiano, dann Lulu. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch sie nichts von Hexerei wissen will. Sie träumt immer nur von deinen blöden Büchern. Es ist eine Schande. Sie ist das begabteste von allen meinen Kindern.«
»Macht es dich nicht glücklich, wenn du weißt, dass sie glücklich ist?«
»Natürlich macht mich das glücklich, Meister Oberschlau, aber es macht mich auch traurig. Ich habe mich so sehr bemüht, dass meine Kinder in ihrem Lebensweg nicht beirrt werden. Sogar den Kontakt mit ihren Vätern habe ich zu verhindern versucht.«
»Und dieser Lebensweg sollte sie zur Hexerei führen?«
»Selbstverständlich sollte er das«, brauste Graviata auf. »Denn wenn sie nicht Hexen oder Magier werden, dann …« Sie sprach nicht weiter.
Das musste sie auch nicht. Ellwin wusste, um was es ging, und Lulu wusste es auch. Die Zeit war es, schon wieder die verdammte Zeit. Für Graviata hatte sie keine Bedeutung, für Lulu und Damiano schon. Wenn sie nicht Hexe oder Magier würden, würden sie alt werden wie alle Menschen.
»Das ist doch nicht schlimm, Mama«, rief Lulu und hangelte sich von ihrem Ast hinunter.
»Junge Dame!«, rief Graviata streng. »Was habe ich dir über das Belauschen von Erwachsenengesprächen beigebracht?«
»Dass es sich nicht gehört«, sagte Lulu. Sie landete auf der Tischplatte und krabbelte auf Graviatas Schoß.
»Aber es ist wirklich nicht schlimm, wenn wir alt werden. Du kannst uns doch von deinen Wässerchen geben. Dann bleiben wir jung. Wie die Königin und der König!«
»Ach Lulu«, seufzte Graviata. »Das ist nicht dasselbe. Die Jahre kommen trotzdem, auch wenn man sie nicht sieht! Und jetzt troll dich von meinem Schoß, du bist zu groß dafür.«
»Wie alt bist du, Mama?«
»Das weiß ich nicht mehr, Schatz. Es spielt keine Rolle.«
»Mama?«
»Hm?«
»Erzähl uns die Geschichte vom Rosenhaus!«
»Jetzt? Auf keinen Fall!«
»Bitte, Mama. Schon so oft haben wir dich darum gebeten und immer hast du uns vertröstet!«
»Ja, erzähl sie uns endlich«, fielen die anderen Hexenkinder und Wanda ein. Alle Gäste beugten sich gespannt vor. Sie trauten sich nicht, in den Chor der Kinder einzufallen, aber es war ihnen deutlich anzumerken, wie sehr es auch sie nach der Geschichte verlangte. Die Rattenkinder hoben ihr Lager am Brunnen auf und kamen zum Tisch. Geschichten waren ihre Leidenschaft.
»Nicht heute«, beharrte Graviata. »Es ist eine sehr traurige Geschichte, sie würde uns die Stimmung verderben. Wir sind zum Feiern zusammengekommen.«
»Erzähl sie ihnen, Mièle. Sie haben ein Recht darauf!«
Aus dem Baumschatten des inneren Rings trat eine Frau ins Licht der Lampions. Sie war alt, doch recht rüstig, wie es schien. Zur Bekräftigung ihrer Worte stampfte sie mit ihrem
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