Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
befestigt waren. Die Ketten waren kurz, wie kurz, das merkte ich, als ich, ohne nachzudenken, hinter den Wärtern her zur Zellentür laufen wollte und der Länge nach auf den Boden knallte. Hab mir ziemlich bös das Gelenk verzerrt, aber die Wärter lachten bloß. Und mein Mitgefangener lachte noch lauter als sie. ›Dummsack!‹, schrie er immer wieder und kicherte, als hätte ich ihm die lustigste Vorstellung seit Jahren geliefert. Was übrigens stimmte, wie ich später erfuhr. Er war seit über zwei Jahren allein in dieser Zelle.
Die Tür schlug dumpf zu und von außen wurde der Schlüssel herumgedreht. Das waren so ziemlich die schlimmsten Geräusche in meinem ganzen Leben. Ich kroch zurück, kauerte mich an meinen Platz an der Wand und dachte, dass ich für immer verloren wäre.«
»Für immer verloren«, echoten die Rattenkinder ehrfürchtig.
»Mein Leidensgenosse hörte irgendwann auf zu kichern und begann, mir sein Leben zu erzählen. Er hieß Pinter und behauptete, im Kerker zu sein, weil er die Bewohner seines Dorfes samt und sonders umgebracht habe. Aber ich glaubte ihm kein Wort. Vermutlich hatte er bloß was geklaut und die lange Zeit in der Zelle hatte ihn verrückt gemacht. Ich ließ ihn reden, sah durch das winzige Fenster den Himmel immer blasser werden und dachte, dass ich gerne sterben würde. Und dann, als es fast schon dunkel war, kam deine Krähe, Lulu, und brachte mir das Amulett.«
Er zog das Amulett über den Kopf, hielt es an der Kette und zeigte es im Kreis.
»Die Krähe brachte das Amulett«, raunte der Chor.
»Pinter blieb das Wort im Hals stecken. Mir war das recht so, sein verrücktes Gebrabbel hatte an meinen Nerven gezerrt. Corina blieb, bis ich das Amulett angelegt hatte. Sie wollte wohl sichergehen, dass ich es nicht wieder achtlos rumliegen ließ. Ich habe ihr einen Gruß für dich mitgegeben, Lulu, und ich fühlte mich gleich besser, weil ich wusste, dass ihr an mich dachtet.
Aber dann brach die Nacht herein, draußen heulte der Wind um den Berg und in der Zelle wurde es kalt, schweinekalt. Wir hatten nichts, um uns gegen die Kälte zu schützen, keinen Mantel, keine Decke, nicht mal ein Häufchen Stroh. An Schlaf war nicht zu denken. Natürlich habe ich es mit Zaubersprüchen versucht. Ich habe versucht, die Ketten zu lösen oder es uns wenigstens ein bisschen wärmer zu machen. Aber ihr kennt mich ja, ich bin ein lausiger Magier, das war ich schon immer. Doch zum ersten Mal in meinem Leben hab ich mich selbst verflucht, dass ich nicht besser aufgepasst hatte in Jovindas Unterricht. Und über die höheren Sprüche mit ihren absurden Gedankenverknüpfungen hab ich mich nur lustig gemacht. Ja, und jetzt war es zu spät.
Doch dann geschah etwas, draußen auf den Korridoren, da war eine gewisse Unruhe, eine Aufregung, die bis zu uns hereindrang. Plötzlich drehte sich der Schlüssel und unsere Tür wurde aufgestoßen, zwei Wachmänner polterten herein. Einer, ein ziemlich Großer, versuchte sich vor mir aufzubauen. Dabei schwankte er, als stünde er an Deck eines Bootes.
›He du‹, schrie er, ›du bist der Sohn von der Hexe Gravatana!‹ Sein Atem war der pure Schnapsdunst.
›Nich so laut!‹, rief sein Kumpel ängstlich, ein kleiner Dicker, und schloss hastig die Tür. ›Wenner Boss uns hört, gib’s Ärger. Sollten schon längs oben sein, beim …‹
›Hal’s Maul!‹, lallte der Große. Er war besoffen …«
»… wie zehn Kanalarbeiter am Zahltag!«, grölten die Rattenkinder.
»›Deine Mutter hat ausgehext!‹, brüllte der Große mich an. ›Sie is hier. Hier bei mir. Im Knast. Hasse das gewusst?‹
›Quatsch!‹, sagte ich nur. Nichts auf der Welt wäre mir in dem Augenblick lächerlicher vorgekommen.
›Kein Quatsch!‹, schrie er. ›Soll ich dir’s zeigen?‹
›Nich so laut!‹, beschwor ihn der Dicke wieder.
›Reg dich ab, Fettsack! Ich zeig dem Scheißer jetz seine vornehme Mutter! Jetz sofort!‹ Ungeschickt nestelte er am Gürtel, um seinen Schlüsselbund freizukriegen.
›Mensch, Hanno, mach kein Scheiß!‹, wimmerte Fettsack und versuchte, ihn am Ärmel zu grabschen. Aber der andere schüttelte ihn wütend ab. Endlich schaffte er es, die Schlüssel abzuhaken, und fuchtelte mit dem schweren Bund in der Luft herum.
›Was is so schlimm an mir‹, schrie er mich an, ›dass so ’n arra… arragantes, ich mein, so ’n aufgeblasenes Gör kotzen muss, wenn ich ihr ’n Kuss geb, he?‹«
Rafaela sog scharf die Luft ein.
»Ich hätte ihm
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