Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
Freundin«, erläuterte Rafaela auf Damianos fragenden Blick hin.
»Wir haben uns schon mal gesehen«, sagte Wanda. »In eurem Haus im Palastgarten, als du verhaftet wurdest.«
»Oh, da war ich etwas, äh, nervös. Ich fürchte, ich erinnere mich nicht mehr an dich, Wanda!«
»Liegt bestimmt daran, dass ich damals nur das Dienstmädchen war«, erwiderte Wanda schnippisch.
»Oder daran, dass du heute ein Pfund Schlamm im Gesicht trägst«, gab Damiano zurück.
Wütend rieb Wanda an ihrem Gesicht herum, aber es half nichts. Der Schlamm war getrocknet, er saß fest.
»Über die beiden bin ich gestolpert«, sagte Damiano und zeigte auf Bumbum und den glücklichen Ralf. »Und dann haben wir uns gegenseitig gerettet.«
»Wie gestolpert? Wie gerettet?«
»Erzählen, von Anfang an!«, rief ein Rattenkind und alle rückten erwartungsvoll näher. Damiano grinste.
»Seit ich hier bin«, sagte er, »habe ich meine Geschichte schon mindestens zehnmal erzählt. Sie können gar nicht genug davon kriegen.«
Die Rattenkinder ließen eine Flasche kreisen. Lulu nahm einen Schluck und musste furchtbar husten. Es war Schnaps in der Flasche. Die geröstete Ratte, die ihr freundlich angeboten wurde, lehnte sie dankend ab, Rafaela desgleichen. Bumbum aber nagte zufrieden an einem Keulchen, auch Wanda war nicht zimperlich und langte zu.
Damiano erzählte. »Die Soldaten stießen mich in den Gefängniswagen und wir rumpelten davon. Ich wusste, dass ich tief in der Patsche saß. Man warf mir vor, einen Grafen niedergestochen zu haben. Das stimmte ja auch, aber ich hatte es nicht gewollt. Das versuchte ich meinen Bewachern klarzumachen, versicherte immer wieder, dass es Notwehr gewesen war, dass der Graf den Dolch gezogen hatte und damit auf mich losgegangen war. Aber sie hörten mir nicht zu, sahen mich nicht einmal an. Sie schauten bloß gelangweilt vor sich hin, als hätten sie keine Ohren. Ich hatte schreckliche Angst, dass man mich zum Felsenkerker bringen würde, dass ich den Rest meines Lebens in einer elenden Zelle verfaulen müsste. Lieber wäre ich auf der Stelle gestorben. Natürlich dachte ich an einen Fluchtversuch, nicht weil ich glaubte, er könnte mir gelingen, sondern weil sie mich dann gleich erschossen hätten. Besser tot als lebendig begraben.«
»Besser tot als lebendig begraben!«, wiederholten die Rattenkinder im Chor. Damiano lächelte. Er hatte rechtzeitig eine Pause eingelegt, damit der Chor seinen Einsatz haben konnte. Lulu merkte, dass hier mehr ablief als das Erzählen einer Geschichte am Lagerfeuer. Die Kinder hingen an Damianos Lippen, als wäre er ihr Heilsbringer.
Er fuhr fort: »Aber ich unternahm keinen Fluchtversuch. Halb war ich zu feige, halb hoffte ich, dass meine Befürchtungen falsch wären. Doch sie waren es nicht. Als der Wagen hielt und die Soldaten mich hinauszerrten, erhob sich vor mir der Felsenkerker, riesig und schwarz und kalt. Ihr kennt ihn ja. Ich war vor Entsetzen fast ohnmächtig, die Soldaten mussten mich mitschleifen, weil ich keine Kraft mehr in den Beinen hatte.
Dann erinnere ich mich nur noch an die Halle unten, an das Halbdunkel, das hereinbricht, wenn die großen Türen sich schließen und das Tageslicht ausgesperrt ist. Und der Gestank! In dem Berg stinkt es nach Angst, nach tausend Jahren Angst. Dagegen ist es hier wie in einem Parfümladen. Und an die Schreie erinnere ich mich. Schrille Schreie wie von Tieren beim Schlachter, bloß dass es keine Tiere waren, es waren Menschen. Ich dachte, dass ich vielleicht eines Tages auch so schreien würde, und nahm mir vor, es niemals zu tun, was auch immer geschehen würde.
Dann sah ich die Käfige. Rundherum laufen Treppen endlos in die Höhe und in der Mitte über dem Abgrund hängen Käfige mit Menschen. Manche von ihnen schreien, sie hocken da wie gefangene Vögel und kreischen. Das Baumeln im Käfig hat sie wahnsinnig gemacht. Ich fürchte, da habe ich auch geschrien. Sie steckten mich aber nicht in einen Käfig, sie schleiften mich ein paar Treppen hoch und warfen mich in eine Zelle, ein zugiges, kaltes Verlies. Die Menschen in den Käfigen sehen, was um sie herum geschieht, in den Zellen aber sieht man bloß felsige Wände und felsigen Boden und ein winziges vergittertes Loch an der Außenwand, durch das der Wind hereinpfeift. Und seine Mitgefangenen sieht man, falls man welche hat. Ich hatte einen an der Wand mir gegenüber, angekettet wie ich selbst. Unsere Knöchel steckten in Eisenringen, die mit Ketten an der Wand
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