Das Geheimnis des Scriptors
weil ich sie nur ungern trug. Diese hier war mir ebenfalls zu lang. Petronius Longus war einen halben Kopf größer als ich. Ich drapierte eine Falte des geliehenen Kleidungsstücks über meine verstrubbelten Locken. Dadurch wurde ich zu der traurigen Parodie eines frommen Mannes, der zu einer Opferung geht, aber ich zog ein langes Gesicht und machte zusätzlich noch winzige Schritte. Petro pfiff anzüglich. »Hör auf, dich wie ein Bauarbeiter auf dem Gerüst aufzuführen, Petro, sonst fliegt meine Tarnung auf.«
»Versteckst du dich vor Helena? Wo zum Hades warst du überhaupt? Ich musste gestern den ganzen Hafen nach dir absuchen. Dann kam irgendeine verrückte Nachricht.«
»Papa in Bestform.« Ich verriet ihn nicht. »Wie geht es Helena?«
»Außer dass sie wütend ist?«
»Ich bin unschuldig. Wenn der Hafenmeister seine Arbeit getan hätte, dann hätte er gesehen, wie ich von einer Bande Halsabschneidern aus Illyrien entführt wurde.«
»Von denen, die heute hier sind?« Petronius wurde munterer und schloss sich mir an. »Oh, was für ein Spaß! Werden sie wütend sein, dass du entkommen bist? Ich begleite dich und schau zu.«
Er knuffte gegen meine Toga, fühlte das Schwert und zeigte mir dann den Griff desjenigen, das er unter seinem Mantel trug. Ich gab zu, dass ich mir sein Ersatzschwert geliehen hatte. »Meins liegt auf dem Boden des Meeres. Ich wünschte, ich hätte mir die Mühe gespart, es vorher zu schleifen.«
»Zum Glück warst du nicht derjenige, der hineingefallen ist.«
Ich grinste schwach.
Die Bestattungsfeier fand mitten auf dem breiten Weg statt, was der Grund war, warum sich hier so viele Menschen drängten. Die Zeremonie wurde gerade in Gang gesetzt, aber es sah aus, als wäre hier vorher stundenlang nicht viel passiert. Trauergäste, die einander kannten, saßen in Gruppen beisammen und versuchten sich an den Namen des fetten Mannes zu erinnern, der so besoffen gewesen war, als sie das letzte Mal zu einer Bestattung gingen. Leute, die keinen kannten, streckten ihre steifen Glieder und blickten gelangweilt.
Von dem Vater des gramerfüllten Mädchens war nichts zu sehen, vom väterlichen Geld jedoch schon. Posidonius, der arme Hund, musste für alles bezahlt haben, angefangen von einem enormen Scheiterhaufen, um den sich die Hälfte aller Bestattungsunternehmer Ostias kümmerten, mit einem vollständigen römischen Gefolge – ein Orchester, jede Menge bezahlter Klageweiber und religiöser Zelebranten. Rhodope war verschwenderisch in die kostbarste weiße Trauerkleidung gehüllt, und dazu gab es noch ein gewaltiges Festmahl für alle. Schnorrer, die Theopompus gar nicht gekannt hatten, machten sich gierig darüber her.
Die Prozession kam zu einem Halt. Posidonius besaß anscheinend kein Grabmal in Ostia, und so fand die Einäscherung mitten auf dem Weg statt. Eine Urne in der Art griechischer schwarzfiguriger Keramik, wie mein Vater sie importierte, stand auf einem Ständer. Papa kannte Posidonius. Ich fragte mich, ob das antike Kunstwerk wohl gestern von einem Schiff nahe der laurentinischen Küste gekommen war. Die Leiche lag noch auf ihrer blumengeschmückten Bahre. Die sah ein bisschen schief aus; ein Bein der Bahre wurde von Helfern mit diskret daruntergeschobenen Steinen abgestützt. Floristen und Girlandenwinderinnen hatten ein gutes Geschäft gemacht, aber die Parfumhersteller würden die Kronen für ihre besten Bemühungen erhalten. Schon aus dreißig Schritt Entfernung konnten wir exotische Öle riechen.
Theopompus, zuletzt halbnackt und barfuß gesehen, war nun wie ein Barbarenkönig gekleidet. Dieser Aufputz hätte ihm gefallen. Auch seine Blutergüsse waren geschickt übertüncht. Ich fand die Gesichtsbemalung ein bisschen übertrieben, und Petronius übte Kritik an der Frisur. Petro war ein Verfechter der klassisch gerade geschnittenen Ponyfransen. Die Leichenbestatter hatten Theopompus’ luxuriöse Haartracht aufgeplustert und ihm eine strahlende Lockenkrone verpasst. »Sehr griechisch!«, sagte Petronius. Womit er meinte … was Römer eben mit »sehr griechisch« meinen.
Wir bewunderten immer noch die Kunst der Einbalsamierer, als unsere Frauen uns fanden. Helena war von Maia und Albia flankiert. Sie näherten sich mir wie ein Trio von Furien mit prämenstruellen Kopfschmerzen und einigen zweifelhaften, unbezahlten Rechnungen.
»Hast du irgendwas zu sagen?«, schnauzte Maia, erpicht darauf, mich winseln zu hören. Helena Justina, eng in eine schwere Stola
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