Das Geheimnis des Scriptors
damit zu tun haben, dass sie ihren Mann verloren hatte, als er im Ausland war, und mit ihren Schuldgefühlen, nicht fähig gewesen zu sein, seiner Bestattung beizuwohnen. Ich hatte mich nie darüber ausgelassen, wie wenig von Famia für ein Abschiedsfest übrig geblieben war. Der Löwe, der ihm den Garaus gemacht hatte, war kein wählerischer Esser gewesen.
Helena hatte eine persönliche Einladung von Rhodope erhalten, wenn es ihr bis jetzt auch noch nicht gelungen war, mit dem Mädchen zu sprechen. Wir gingen los und fanden sie in ihrem glitzernden weißen Trauergewand und Schleier (und mehreren Goldketten), sitzend auf einem thronartigen Stuhl auf einer niedrigen Plinthe, umgeben von einer großen Gruppe dünner dunkler Frauen, die vermutlich Illyrierinnen waren. Sie hatten eine Laube aus schlichten Vorhängen geschaffen und dann das Mädchen hineingesteckt. Das machte den Eindruck, als wäre Rhodope ein geschätztes Mitglied ihres Clans, und doch redeten sie nur miteinander, während Rhodope in ihrem Kummer allein dasaß. Sie gab eine mitleiderregende Witwe ab, wirkte auf verdächtige Art wie eine Gefangene.
Helena drängte sich resolut zwischen den Frauen hindurch, die größtenteils im Schneidersitz auf dem Boden hockten. Sie blickten sie feindselig an, doch wann immer Helena auf eine Hand trat oder einen Rock, schenkte sie dem Opfer ein freundliches patrizierhaftes Lächeln. Ganz die Senatorentochter, überbrachte Helena Beileid und Protektion, ohne zu fragen, ob sie willkommen war. Auf Provinzler zu trampeln schien ihr erblich zuzustehen.
Ich wusste, dass sie des trauernden Mädchens wegen verärgert war. An welcher Unterstützung es der jungen Frau auch ermangelte, Helena war bereit, sie ihr jetzt zu geben. »Rhodope! Das muss ein schwerer Tag für dich sein, aber was für eine wunderbare Beteiligung. Er muss äußerst beliebt gewesen sein. Ich hoffe, das ist ein gewisser Trost für dich.«
Das bleiche Mädchen sah sie argwöhnisch an. Nur Rhodopes große traurige Augen waren auf die Bahre gerichtet. Alle anderen benutzten die Bestattung als Ausrede zum Feiern. Bei dem kostenlosen Essen und der Musik verwandte niemand einen Gedanken an Posidonius, der erneut geschröpft wurde, und auch nur wenige schienen etwas dafür übrig zu haben, Theopompus ins Jenseits zu verabschieden.
Es war ein nach Geschlechtern getrenntes Ereignis. Die Frauen blieben unter sich, genau wie die Männer. Verschiedene Männergruppen standen ebenfalls getrennt zusammen. Die formellen römischen Leichenbestatter kümmerten sich um ihre Arbeit, mehr oder weniger unbemerkt, während bei den Grüppchen der Seeleute fremd klingende Musik auf exotischen Instrumenten gespielt wurde, ohne auf die schwermütigen römischen Flöten zu achten, die den Höhepunkt der Zeremonie ankündigen sollten. Von privaten Kochfeuern vermischte sich der Geruch nach gebratenem Fleisch und Fisch mit dem Weihrauchduft. Alles zusammen wirkte vollkommen desorganisiert. Außerdem vermittelte es das Gefühl, dass das Fest noch die nächsten drei Tage andauern würde.
Ein verschleierter Mann drängte sich an mir vorbei. Er hielt mit seinen haarigen Armen einen tragbaren Altar hoch auf seiner Schulter. Akolythen eilten hinter ihm her, zerrten ein Schaf mit sich und trugen die Gerätschaften für die Opferung. Die rauhen Burschen juchzten auf und beäugten das Schaf als möglichen Spießbraten.
Da niemand sonst Rhodopes Aufmerksamkeit verlangte, konnte Helena bei ihr bleiben und mit ihr reden. Während sie ihr Albia vorstellte, blieb ich gebückt bei ihnen stehen. Nachdem Maia gegangen war, hatte sich Petronius davongemacht, um die Trauergäste zu inspizieren. Als einziger Mann in dieser Gruppe war ich fehl am Platz, aber es war viel weniger gefährlich für mich, als mich wütenden Männern mit Entermessern in ihren Schärpen anzuschließen.
Der Scheiterhaufen wollte nicht recht brennen. Ich sah, wie sich die Lippen des Priesters mit einem unhörbaren Fluch bewegten.
»Was wirst du als Nächstes tun?«, fragte Helena Rhodope leise.
»Ich werde mit seinen Leuten nach Illyrien gehen.«
»Ist das eine gute Idee? Sich ihnen zusammen mit Theopompus anzuschließen wäre etwas anderes gewesen. Wirst du denn ohne ihn willkommen sein?«
»O ja. Sie sind meine Freunde, um seinetwillen.« Zwei zahnlückige Frauen blickten auf und lächelten vage. Sie redeten zwar nicht mit Rhodope, aber sie hörten eindeutig zu.
Helena ließ das Thema fallen. Albia, selbst ein Kind
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