Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
seine Wangen noch heißer wurden. Benthe runzelte die Stirn und Ellie kicherte leise.
Er räusperte sich. »Können wir ihr dann vertrauen?«, fragte Nik.
»Manchmal muss man ein Risiko eingehen.« Luuk hob gleichgültig die Schultern.
Nik trat an das Fenster und sah auf den Hafen hinunter. Er war schon zu lange nicht mehr auf einem Dach gewesen, und er vermisste den Wind in seinem Gesicht und den Geruch der Stadt, der ihm dort oben in die Nase wehte. Doch allein der Blick auf die Menschen, die durch die Gassen eilten, half ihm, seine Gedanken etwas zu ordnen.
Er würde Luuk nicht wieder loswerden, wenn sie den Spiegelmacher nicht aufhalten konnten. Auf keinen Fall wollte Nik vor den anderen wie ein Feigling dastehen, doch er konnte nicht noch einmal hitzköpfig ihr Leben riskieren wie gestern bei dem Streit auf der Straße. Hatte Luuk sich wirklich auf ihre Seite geschlagen, oder war er von dem Spiegelmacher beauftragt worden, sich ihnen anzuschließen? Nik drehte sich um und versuchte, in dem Gesicht des Jungen die Wahrheit zu lesen. Wie konnte er Gewissheit bekommen, dass sie ihm vertrauen konnten?
Benthe stand auf und stellte sich neben ihn. »Carmen de Witt weiß sicher nichts von den dunklen Geschäften des Spiegelmachers. Niemals würde sich die Frau des Stadtregenten mit einem Mörder einlassen. Sie wird uns helfen.«
»Und Luuk?« Nik hatte sich zu ihr gebeugt und ihr leise ins Ohr geflüstert.
Sie lächelte. »Er hilft uns.«
Nik seufzte. Früher hatte er ihrem Urteil immer vertraut. »Wir können nicht warten, bis es dunkel ist«, stellte er fest und drehte sich zu den anderen um. »Carmen de Witt öffnet ihre Türen nach Sonnenuntergang sicher nicht für ein paar verlumpte Kinder.«
»Du solltest eine Kapuze aufsetzen«, sagte Ellie und zeigte auf seine Augen.
Nik hob die Schultern. Vermutlich waren seine Augenbrauen von der glühenden Hitze des Feuers versengt und seine Wangen und seine Stirn noch gerötet.
Einige Stunden saßen sie in dem Dachzimmer, flickten mit Ellies Nadeln notdürftig ihre Sachen und nähten Kapuzen aus einem leeren Sack, den sie unten im Lager gefunden hatten. So konnten sie ihre Haare und einen Teil des Gesichts verbergen.
Als sie fertig waren, schüttelte Nik verzweifelt den Kopf. Sie sahen noch immer wie ein Haufen Landstreicher aus, doch es gab nichts, was sie dagegen tun konnten.
Bis zum Mittag hatte sich der Himmel verfinstert, und es begann zu regnen, als sie endlich aufbrachen. Sie verließen nacheinander das Haus und liefen auf unterschiedlichen Wegen zum Haus des Stadtregenten.
Als Nik an der Straßenlaterne eintraf, die ein paar Schritte von dem Haus entfernt stand, erwarteten ihn bereits Ellie und Luuk.
»Wo ist Benthe?«
Die beiden zuckten mit den Schultern und sahen sich besorgt nach ihr um.
»Ich bin als Letzter gegangen …«, sagte Nik aufgebracht. Vor seinem inneren Auge erschien Benthe, die vor Heinrich floh und ein Messer in den Rücken bekam. Immer mehr Schreckensbilder stiegen in ihm empor und schnürten ihm wie ein enger Gürtel die Luft zum Atmen ab. Keuchend lehnte er sich gegen den Laternenpfahl und versuchte, tief einzuatmen, während er die Straße beobachtete.
Sie warteten eine Stunde, bis das Mädchen mit hochrotem Kopf endlich um die Ecke kam.
»Ich bin falsch abgebogen … und dort waren unglaublich viele Menschen unterwegs … und dann bin ich die Nächste rechts … und dann …«, stotterte sie atemlos.
»Hat dich jemand erkannt?«, fragte Nik. Die Bilder der letzten Stunde ließen ihn nicht los und er bekam eine Gänsehaut.
Benthe schüttelte den Kopf. Langsam ließ sie sich auf den Boden sinken und warf die Kapuze nach hinten. Ihr Haar war grau wie der Nieselregen, der auf sie herabfiel, doch die Falten in ihrem feuchten Gesicht wirkten weniger tief und schienen sich von den rosigen Wangen zurückzuziehen. Nik kniff die Augen zusammen. Bevor er ergründen konnte, ob die feinen Regentropfen seinen Augen einen Streich spielten, schob Ellie ihn ungeduldig zum Haus des Stadtregenten.
Luuk reichte Benthe die Hand und half ihr wieder auf die Beine.
Nik ging als Erster die Treppenstufen hinauf, die anderen folgten ihm. Er klopfte an eine gewaltige Eingangstür, die mit schnörkeligen Schnitzereien und einem schmiedeeisernen Türklopfer verziert war, und versuchte, sein aufgebrachtes Herz mit tiefen Atemzügen zu beruhigen. Ob jemand sie hineinlassen würde? Zwar hatte der Regen ihre schmutzigen Gesichter gewaschen und
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