Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
Wassertropfen glitzerten auf Ellies langen Wimpern, aber die nassen Mäntel verdeckten die zerschlissenen Hosen nur zum Teil und bei Nik und Ellie waren die notdürftig geflickten Brandlöcher unterhalb des Saumes zu erkennen.
Ein Mädchen in einem schwarzen gestärkten Kleid öffnete die Tür.
»Wir möchten zu Carmen de Witt.« Nik richtete sich auf und versuchte, den Tonfall seiner Mutter zu imitieren, die es gewohnt war, Dienstmädchen und die Haushälterin Amilia durch das Haus zu scheuchen. Er hörte, wie die anderen hinter ihm den Atem anhielten, und sah aus dem Augenwinkel, wie Benthe ihre Kapuze tiefer ins Gesicht zog.
Das Hausmädchen musterte die Kinder und machte keine Anstalten, sich von Nik einschüchtern zu lassen.
»Sag ihr, es geht um die Spiegel«, ergänzte Nik.
Das Mädchen schlug ihnen ohne ein Wort die Tür vor der Nase zu.
»Was nun?«, fragte Luuk.
»Warten wir einen Augenblick«, meinte Ellie und wischte sich energisch die tropfnassen Haare aus dem Gesicht.
Ratlos zuckten Nik und Benthe mit den Schultern. Ellie trat vor den pompösen Türklopfer des Stadtregenten und wirkte dabei viel zarter als je zuvor. Sie sah vor der gewaltigen Eingangstür fast zerbrechlich aus.
Plötzlich erklangen Schritte und Ellie wich zurück. Das Mädchen öffnete die Tür noch einmal, musterte die vier von oben bis unten und bedeutete ihnen dann, ihr zu folgen.
Nik zögerte kurz, dann betrat er das Haus des Stadthalters von Amsterdam. Sie tapsten mit ihren tropfenden Stiefeln durch den langen Flur, bis das Mädchen auf eine Tür zeigte. Nach einem Blick auf die nasse Spur, die Ellie, Nik, Luuk und Benthe auf den Dielen hinterlassen hatten, seufzte sie übertrieben laut und drückte die Klinke hinunter.
Die vier betraten nacheinander das Zimmer von Carmen de Witt. Angesichts der filigranen Möbel mit ihren zierlichen Beinen und Lehnen und den unzähligen Gemälden, die die Wände fast vollständig bedeckten, wurde ihnen ihre schäbige Kleidung noch deutlicher bewusst als bisher.
Eine wunderschöne Frau erhob sich aus einem Sessel und kam auf sie zu. Ihr Gesicht war ebenmäßig und schimmerte golden. Selbst ihre lange Nase konnte den vornehmen Eindruck nicht schmälern. Sie schwebte über den Teppich wie eine Prinzessin.
Nik starrte die Frau mit offenem Mund an, bis jemand ihm schmerzhaft in den Rücken stieß.
Er räusperte sich. »Carmen de Witt?«
Sie nickte und blieb vor ihm stehen.
»Bringt ihr mir einen Spiegel?«, fragte sie und musterte die vier auf der Suche nach der Ware.
Benthe senkte den Kopf und zog die Kapuze tiefer in ihr Gesicht.
»Wir möchten mit Euch über den Spiegelmacher reden«, begann Nik. Die anderen drängten sich hinter ihn und machten keine Anstalten, ihm zu helfen.
Luuk hatte Benthe hinter seinen breiten Rücken geschoben, um sie vor Carmens neugierigen Blicken zu schützen. Nik fragte sich, wann die Frau das Mädchen erkennen und sie alle hinauswerfen würde.
Doch sie sah ihn weiterhin mit einem ausdruckslosen Gesicht an, und er hatte keine Ahnung, was sie dachte. Immerhin hatte sie die vier nicht sofort zum Teufel gejagt, obwohl sich auf dem dicken Teppich in ihrem Zimmer bereits ein großer Wasserfleck bildete.
Nik schluckte und beeilte sich fortzufahren. »Wir haben herausgefunden, wie gefährlich die Spiegel sind, die Heinrich Sehfeld herstellt.« Er stockte, da Carmen die Stirn gerunzelt hatte. Unter ihrem strengen Blick zuckte er zusammen. Was er gesagt hatte, entsprach nicht ganz der Wahrheit. Hatte sie seine Lüge bereits durchschaut?
»Auch andere Handwerker stellen in der Stadt bedrohliche Kunstwerke her, die der Stadt schaden können … Sie gehören alle zusammen …«
»Wer hat euch das erzählt?«
Nik sah den verzweifelten Gustav vor sich und hörte Heinrichs Stimme, die ihm vor langer Zeit in einem Keller eine Gänsehaut beschert hatte. »Wir haben es selbst gesehen«, antwortete er und seine Stimme klang endlich nicht mehr ängstlich, sondern halbwegs entschlossen.
Er bemerkte, wie Carmen zu ihrem Tisch blickte. Dort lag ein kleiner Handspiegel.
Dann strich sie über ihre Taille, obwohl sich ihr Kleid perfekt um ihre schmalen Hüften schmiegte, und sah Nik in die Augen.
»Warum kommt ihr damit zu mir?«, fragte sie leise.
Benthe trat aus Luuks Schatten und schob die Kapuze vom Kopf. Alle Farbe wich aus dem Gesicht der Portugiesin. Sie starrte Benthe fassungslos an, und es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis sie ihre Beherrschung
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