Das Geheimnis des Templers - Episode I: Ein heiliger Schwur (German Edition)
antwortete nicht. Nicht weil er nicht konnte, sondern weil es ihm die Sprache verschlug, als er hinter seiner Mutter einen leibhaftigen Engel bemerkte. Lissy stand dort, in einem himmelblauen Kleid, und sah aus wie die Jungfrau Maria persönlich. Ihre großen braunen Augen wirkten besorgt, aber längst nicht so panisch wie die seiner Mutter. Langsam wie eine Katze schlich das Mädchen an sein Bett heran und setzte sich nieder. Sacht streichelte sie über seinen ausgestreckten Arm.
Fünf Monate hatten sie sich nicht mehr gesehen, und sie erschien ihm irgendwie verändert. Es sah aus, als wäre sie ein wenig fülliger geworden. Doch das stand ihr sehr gut. Überhaupt war sie in seinen Augen noch begehrenswerter geworden, und er fragte sich, ob es daran lag, dass sie sich so lange nicht gesehen hatten.
„Wir benötigen hier ein bisschen Platz, junge Dame“, herrschte Ines sie an. Als Hebamme und Wundpflegerin war sie bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Lissy rutschte ein wenig zur Seite, damit Ines an Geros malträtierte Rippen herankam, aber verscheuchen ließ sie sich nicht.
„Wir können ihn doch jetzt nicht alleine lassen“, jammerte Jutta von Breydenbach, und Gero wusste nicht, was schlimmer war, die zu erwartenden Nadelstiche oder das Wehklagen seiner Mutter.
„Ines hat recht“, sagte die Gräfin und packte ihre Schwester am Ärmel. „Wir sollten sie und Mathilde in Ruhe arbeiten lassen. Lass uns gehen, ich hab ohnehin noch mit Roland ein Hühnchen zu rupfen.“
Roland kann nichts dafür, wollte Gero noch rufen, doch ihm versagte die Stimme.
Margaretha schob Geros Mutter aus der Kammer hinaus, während diese ihrer Tochter einen auffordernden Blick zuwarf. „Komm schon, Elisabeth“, rief sie ihr zu. „Die Frauen sollen ungestört ans Werk gehen können.“
„Ich bleibe hier“, vernahm Gero die weiche, melodische Stimme des Mädchens. „Ich werde meinem Bruder zur Seite stehen, bis er die Tortur überstanden hat.“ Entschlossen ergriff sie seine Hand, und Gero war es, als ob ihr ein lebendiges Feuer entströmte, das heilsam durch seine Adern floss.
„Es sei dir gewährt“, antwortete seine Mutter mit einem erstaunten Blick, der nicht offenbarte, ob es ihr nun recht war, dass sie blieb oder nicht. „Aber ruf mich sofort, wenn sich sein Zustand verschlechtert.“
Wahrscheinlich war sie froh, dass überhaupt jemand aus der Familie bei ihm blieb.
Nachdem Mutter und Tante gegangen waren, wollte ihm Ines einen Löffel Mohnsaft verabreichen, doch Gero verweigerte die Medizin. Er wollte nicht schlafen, er wollte einzig in Lissys zartes Antlitz schauen und ihr zeigen, wie ein wahrer Held beschaffen war. Ihre braunen Augen hielten seinem konzentrierten Blick stand und wandten sich auch nicht ab, als Ines Mathilde ein Zeichen gab, dass sie nun mit dem Nähen beginnen konnte. Jeder verdammte Stich jagte Gero eine Kaskade von Qualen durch den geschwächten Leib, doch er biss eisern die Zähne zusammen, bis Mathilde endlich nach fünfzehn Stichen die beiden Enden des Fadens verknotete. Lissy streichelte unentwegt seine Hand, und ihm blieb nichts anderes, als sie verträumt anzulächeln, selbst noch als Ines die fertige Naht mit einem kalten Essigschwamm reinigte, bevor sie Lebermoos darauf verteilte. Dabei warf ihm die kräuterkundige Frau merkwürdige Blicke zu, weil er überhaupt keine Fragen stellte und sich auch sonst nicht regte.
Nachdem Ines die Kompresse fixiert und ihm zum guten Schluss einen langen breiten Leinenstreifen um den Leib gewickelt hatte, durfte er aufstehen und sich anziehen.
„Du hast dich geschlagen, wie man es von einem Ritter erwarten würde“, sagte sie anerkennend.
„Er ist ein Ritter“, bemerkte Lissy mit funkelnden Augen, und ehe sie Geros überraschten Freudentaumel zu sehen bekam, ging sie hinaus, damit er sich ungestört ankleiden konnte.
Gero spürte, wie ihm erneut schwindlig wurde, als er sich erhob. Leicht wankend hielt er sich am Türpfosten fest. Während Ines ihm half, das Nachthemd überzuziehen, glaubte er zu träumen. Wegen seiner Unachtsamkeit hatte er sein Leben aufs Spiel gesetzt und den Zelter verloren. Roland hatte allein wegen ihm einen weiteren Menschen getötet. Und noch stand nicht fest, ob die Wunde sauber verheilen würde. Aber er war ein echter Ritter, jedenfalls, wenn es nach Elisabeth ging. Allein dafür hatte sich all das Unglück gelohnt.
Als er nach draußen zu ihr ins Foyer trat, um anschließend seine Gemächer
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