Das Geheimnis des verlassenen Schlosses
Weber die Wahrheit gesprochen hatte.
Wie hätte auch ein kleines Mädchen aus einem ganz anderen Landesteil sich dasselbe
ausdenken können wie Mentacho.
Baan-Nu blickte Ann nicht mehr finster an, seine Stimmung besserte sich zusehends.
„Jetzt, da Sie alles von mir erfahren haben, was Sie interessiert”, begann Ann höflich,
„könnten Sie mich doch eigentlich nach Hause lassen?”
Doch kaum hatte der Apparat diese Bitte übersetzt, da verfinsterte sich das Gesicht des
Generals aufs neue. „Nein”, sagte er hart. „Du bleibst hier, zusammen mit Mentacho
und Elvina. Ich werde ihnen befehlen, daß sie sich um dich kümmern.”
Begleitet von Ilsor und Kau-Ruck, verließ der General das kleine Haus.
„Na, herrlich”, rief ihm Ann hintendrein. „Tilli-Willi macht aus jedem von euch
Bouletten.”
Die Sprechmaschine übersetzte gewissenhaft die letzten Worte des kleinen Mädchens,
doch zum Glück hörte sie keiner.
DIE KÖNIGIN DER FELDMÄUSE
Als die Gefangenen allein geblieben waren, sah Ann mit schlauem Lächeln Mentacho
und Elvina an und sagte:
„Seid nicht traurig.”
Sie blies in Raminas Pfeife, und sofort stand die Königin der Feldmäuse mit ein paar
Hoffräulein vor ihr.
Elvina stieß einen kleinen Schreckensschrei aus. Sie hätte selbst nicht gedacht, daß sie
noch so gewandt auf einen Stuhl springen könnte: Die gute alte Frau hatte eine
Heidenangst vor Mäusen.
„Seid gegrüßt, Hoheit!” wandte sich das kleine Mädchen höflich an die Königin.
„Verzeiht, daß ich Euch belästige, aber es steht schlecht um mich…”
Ramina erwiderte:
„Guten Tag, liebe Ann! Hast’du etwa kein Recht auf meine Hilfe? Du bist die Besitzerin
der silbernen Pfeife! Aber wie bist du in die Gewalt der Außerirdischen geraten?”
„Ihr wißt es bereits?” fragte Ann verwundert. „Natürlich”, fuhr Ramina ruhig fort.
„Mich hat schon seit langem meine königliche Schwester, die Königin der Fledermäuse
Tarriga, eingeweiht. Ihre Untertanen haben den ungebetenen Gästen vor kurzem ein
hübsches Konzert hingelegt!”
Ramina kicherte belustigt, und die Hoffräulein stimmten ehrfürchtig ein.
„Ich kann mir vorstellen, wie meine Freunde sich jetzt um mich sorgen”, sagte Ann
niedergeschlagen. „Vielleicht denken sie gar, daß ich nicht mehr lebe…”
„Nun übertreibst du aber wirklich, liebe Ann”, tröstete die Königin der Feldmäuse.
„Wozu hat der Scheuch seinen Zauberkasten? Ich bin sicher, daß deine Freunde alles
über dich wissen. Ich werde es gleich überprüfen.”
Bevor Ann etwas sagen konnte, war Ramina verschwunden, und im Blauen Häuschen
blieben nur die Hoffräulein zurück, die die alte Elvina ängstlich von der Seite musterte.
Ungefähr zwanzig Minuten waren vergangen, da kehrte die Königin äußerst zufrieden
zurück. Sie war bereits überall gewesen.
„Natürlich ist alles so, wie ich es mir dachte”, verkündete sie. „Kaum waren Fred und
Tim im Schloß des Scheuchs angelangt, da begann schon der Zauberkasten zu
funktionieren, und deine Abenteuer wurden bekannt. Deine Freunde hoffen, dir bald zu
Hilfe zu kommen… Im übrigen haben auch meine Untertanen einen Auftrag von
staatlicher Bedeutung erhalten.”
Ann erriet sofort, was das für ein Auftrag war. Die beiden Alten boten den Mäusen
einen hervorragenden Imbiß aus Speckstückchen und gerösteten Brotkrumen an. Das
Festgelage dauerte bis in die Nacht. Ramina versprach, in den kurzen Pausen zwischen
dem Staatsdienst Ann zu besuchen und ständigen Kontakt zwischen Ann und deren
Freunden herzustellen. In außergewöhnlichen Situationen sollte sich Ann der Pfeife
bedienen.
DIE INVASION
DER UNSICHTBAREN ARMEE
Die Mäuse erfüllten bereitwillig den wichtigen Staatsauftrag, und der unterirdische
Gang wuchs nicht täglich, sondern stündlich. Den Mäusescharen folgten auf dem
weichen, aufgelockerten Erdreich, das großartig die Schritte dämpfte, die Brigaden
von Lestar und Rushero. Sie verlegten die Rohre, die die Holzköpfe trugen.
Die scharfzähnige Mäuseschar war in Regimenter und Divisionen unterteilt, und jede
Einheit hatte einen Arbeitsabschnitt. Die einen fraßen sich in das Erdreich, bohrten
Tausende Höhlen, die, miteinander vereint, eine große Höhle bildeten; andere
schafften die Erde sorgfältig in sehr kleinen Fuhren, damit keiner es bemerke, zu den
Baumwurzeln im Wald. Die übrigen drangen ins Schloß ein.
Ann schlief friedlich im Blauen Häuschen, an dessen Tür wieder ein Wachsoldat
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