Das Geheimnis des verlassenen Schlosses
stand, während die grauen Heerscharen geschäftig in Ranavir hin und her liefen.
Mit verwunderlicher Geschicklichkeit drangen die Mäuse durch winzige Löcher und
Ritzen. Sie schlüpften durch schlecht verschlossene Zimmertüren und in die Schränke.
Am nächsten Morgen waren in den Werkstätten der Menviten an allen elektrischen
Leitungen die Isolationen durchgeknabbert. Kolben, Mensur- und Reagenzgläser lagen
zerschlagen auf dem Fußboden, ihr Inhalt war ausgeflossen. Die Behälter mit den
Brennstoffproben waren durchlöchert, der Brennstoff versickerte trüb. Von den
Herbarien, die die Menviten im Zauberland angelegt hatten, war einzig Mulm
geblieben. Nur die Kragen der Overalls hingen traurig auf den Bügeln. Der übrige Stoff
lag zerfetzt auf den Dielen verstreut.
Baan-Nu schlief noch, als Ilsor sein Zimmer betrat. Auf der Schwelle blieb er wie
angewurzelt stehen und rieb sich verwundert die Augen. Dann rief er leise:
„Mein General, Baan-Nu!”
Der Angerufene schlug die Lider auf. Erschrocken zuckte er zusammen. Sofort war er
hellwach. Vor ihm breitete sich das verheerende Bild einer schrecklichen Zerstörung
aus. Vom Tigerfell vor seinem Ruhebett war nur der Flaum übrig. Der Morgenmantel
des Generals war zerfetzt, seine herrlichen Stiefel glichen jetzt eher den Riemchensandalen der alten Griechen. Das feine Saffianleder war ratzekahl aufgefressen.
Ilsor wollte dem General die Uniform reichen, doch im Schrank lag nur ein Haufen
Lappen.
Im Nachthemd, ohne auf eine neue Uniform aus der „Diavona” zu warten, rannte BaanNu mit stockendem Herzen ins Arbeitszimmer. Er ahnte fürchterliches Unheil. Am
Abend war er nach der Beschreibung des Kampfes gegen die unsichtbaren Heere so
unheimlich müde gewesen, daß er zwar den Punkt hinter das letzte Wort gesetzt, das
Manuskript aber nicht wie gewöhnlich in die Aktentasche geschoben und unter seinem
Kopfkissen versteckt hatte. Die ganze Nacht über hatte er im Schlaf gegen die Unsichtbaren tapfer gekämpft. Sollte sein Traum etwa prophetisch gewesen sein?
Auf dem Tisch erblickte er einen Berg Papierstaub. Stöhnend faßte sich Baan-Nu an den
Kopf und ließ sich in einen Sessel sinken.
Inzwischen war Mon-So zur Meldung erschienen. „Mein General”, begann er. „In
Ranavir ist alles zerschlagen und zerrissen, was man nur zerschlagen und zerreißen
kann. Wahrscheinlich sind diese Erdenbürger angekommen…” Mon-So konnte seinen
Satz nicht beenden. Im Türrahmen erschien der Arzt Lon-Gor:
„Mein General”, sagte er, „die Mullbinden sind verschwunden, die Thermometer kaputt,
alle Pülverchen ausgeschüttet und vermischt. Die Erdenbewohner…”
„Was für Erdenbewohner? Lassen Sie mich doch mit Ihren Erdenbewohnern
zufrieden!” brüllte der General, denn er konnte sich nicht mehr beherrschen. „,Die
Eroberung der Belliora`, mein Buch, mein Lebenswerk ist vernichtet”, jammerte er,
doch die Menviten verstanden ihn nicht.
Eigenartig war, daß in dem allgemeinen Tohuwabohu die persönlichen Gegenstände der
Arsaken unberührt blieben. Baan-Nu befahl, die Gefangenen vorzuführen. Ann, Elvina
und Mentacho traten ein. Doch die Bewohner des Blauen Häuschens verrieten nichts.
Woher sollten sie auch etwas wissen, wenn die Fenster ihres Hauses mit Stahlgittern
abgesichert waren, die Tür von außen verriegelt und der menvitische Wachsoldat keinen
Schritt von der Vortreppe gewichen war …
SELTSAME VORKOMMNISSE IN RANAVIR
Dann kam der Tag, auf den sich Tim lange und gründlich vorbereitet hatte. Der Knabe
zog einen bequemen Trainingsanzug und Stiefel mit weichen Sohlen an, um lautlos
auftreten zu können. Er steckte Schraubenschlüssel, Schraubenzieher und Kneifzange
ein. An den Gürtel knöpfte er einen Degen in einer Lederscheide. Den Silberreif
befestigte er mit einem Riemchen am Kopf, um ihn nicht zu verlieren.
Alles schien wohlüberlegt zu sein, doch Ingenieur Cunning ermahnte den Jungen immer
wieder zur Vorsicht.
Fred sagte:
„Die Fremdlinge wissen nicht, woher Ann kommt. Wenn die Ramerier dich
gefangennehmen, merken sie an deiner Größe und Kraft, daß du kein Einwohner von
Goodwinien bist.”
Tim nickte zu allen Ermahnungen. Ein einziger Wunsch beseelte ihn, so schnell wie
möglich fortzukommen.
Zum Abschluß riet ihm Fred:
„Wenn sich keine Gelegenheit zu Anns Befreiung bietet, warte lieber ab.”
Da preßte der Knabe so eigensinnig die Lippen aufeinander, daß man sofort wußte,
diese Anweisung Freds würde er auf
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