Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
Aussehenden kenne ich den Namen nicht. Warum willst du das wissen?«
»Ist immer gut, die Namen seiner Feinde zu kennen.« Der Junge klang unvermutet ernsthaft, fast wie ein Nachrichtensprecher aus dem Radio. »Wie heißt du überhaupt, Wandervogel?«
»Arjen, Arjen Rosenboom. Und du?«, fragte er schüchtern.
Der Junge sah ihn an und schwieg einen Moment, als müsse er erst einmal abwägen, ob er Arjen eine so wichtige Information anvertrauen konnte. »Ruben.«
»A-ha. Ruben. Und weiter?« Arjen war sich mittlerweile sicher, den Jungen nie zuvor auf Beekensiel gesehen zu haben. Nichts an ihm wirkte so, als würde es von der Insel stammen – weder seine Sprache noch seine Kleidung und schon gar nicht sein Verhalten. Ein Nachname würde helfen, ihn der Familie zuzuordnen, bei der er wahrscheinlich zu Gast war. Arjen wusste selbst nicht, warum er so viel wie möglich über diesen Jungen erfahren wollte …
»Ruben muss reichen«, erklärte dieser jedoch unwirsch.
Es kostete Arjen kaum Überwindung, sich Ruben unterzuordnen. Im Gegensatz zu ihm war der Junge der festen Überzeugung, stets genau zu wissen, was zu tun sei, und strahlte dabei eine Bestimmtheit aus, die Arjen faszinierte. Vermutlich wäre er sogar an Rubens Seite die Düne hinabgestürmt, um sich auf Haro und Konsorten zu stürzen, wenn er es verlangt hätte. Gott sei Dank zogen die drei jedoch von alleine ab. Kaum schlugen sie den Trampelpfad zum Strand ein, kletterte Ruben auch schon durch ein rahmenloses Fenster in die Ruine.
Arjen zögerte. »Was machen wir, wenn sie zurückkommen?«
Ohne sich umzudrehen, sagte Ruben: »Na, was wohl? Dann sagen wir ihnen, dass sie sich verpissen sollen.«
Diese Ausdrucksweise schockte Arjen noch mehr als die Vorstellung, Haro die Stirn zu bieten.
Es dauerte eine Weile, bis Ruben bemerkte, dass sein neuer Freund ihm nicht folgte. Doch selbst da zuckte er nur mit den Achseln und inspizierte erst einmal in Ruhe den schief stehenden Herd, dem jemand einen Fuß abgeschlagen hatte, und mühte sich mit dem Vorratsschrank ab, dessen Türen durch die Feuchtigkeit verkantet waren. Als Arjen immer noch keine Anstalten machte hereinzuklettern, seufzte Ruben ergeben.
»Ich sage dir jetzt mal, wie es funktioniert: Wenn man etwas will, muss man es sich nehmen – alles andere ist Bockmist. Du musst es mehr wollen als die anderen, und du musst weiter dafür gehen, um es zu bekommen, ansonsten kannst du es gleich sein lassen. So sieht es aus. Mir gefällt dieser kaputte Kasten, da könnte man was draus machen. Einen echten Unterschlupf. Und was willst du?«
Die Sommertage mit dir verbringen .
Das war es, was Arjen am allermeisten wollte. Doch er sprach es nicht aus. Stattdessen stieg er zu Ruben in die Ruine und hörte aufmerksam der Bestandsaufnahme und den Ideen des Jungen zu. Nach und nach steuerte er Vorschläge bei, obwohl er keinerlei Ahnung von Handwerksarbeit hatte. Da Ruben allerdings jeden einzelnen seiner Kommentare mit in seine Überlegungen einfließen ließ, ging Arjen schon bald im Pläneschmieden auf. Als er begriff, dass es tatsächlich ihre gemeinsamen Pläne waren, lag er schon frisch gewaschen und erschöpft daheim im Bett. Sein letzter Gedanke, bevor er einschlief, galt der Sonne. Sobald sie aufging, würde er Ruben wieder treffen.
5
Greta saß auf dem Bett unter der Dachschräge und hing immer noch wie benommen Arjens Kindheitserzählung nach. Nicht nur weil es eine packende Geschichte war, die ihren Großvater auf eine Weise zeigte, die ihr bislang unbekannt gewesen war, sondern auch wegen der Art, wie er sie erzählt hatte. Er war ganz bei sich gewesen, vollkommen konzentriert, beinahe so, als würde er den Jungen vor sich sehen, der er einst gewesen war, und würde ihm über Wege folgen, die er im Laufe der Jahre vergessen hatte. Es ist, als öffne er eine seit langem verschlossene Tür in die Vergangenheit und wäre erstaunt über das, was er dort entdeckt. Ja, es war anders gewesen als sonst. Für gewöhnlich ging es Arjen in erster Linie darum, sie mit Anekdoten zu unterhalten, und er freute sich über jeden Lacher und jedes verblüffte Hochfahren der Augenbrauen. Dieses Mal jedoch hatte er Greta fast vergessen gehabt, seine Stimme war nach und nach so leise geworden, dass sie ihn kaum noch verstanden hatte. Sie hatte sich weit vorlehnen müssen, um kein Wort zu verpassen. Ohne dass sie erklären konnte, warum, war sie sich sicher gewesen, nichts verpassen zu dürfen, weil Arjen diese
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