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Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Titel: Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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herrschte, nach passender Kleidung für das Abendessen zu suchen. Anette hatte sie bloß unter dem Vorwand entlassen, dass sie sich für den Restaurantbesuch rasch frisch machen wollte. Die Nachricht, dass der Bruch zwischen Erik und ihr weit über einen normalen Streit hinausging, hatte sich offenbar gesetzt, sodass es nur eine Frage der Zeit war, bis Anettes Fürsorgeprogramm startete – dem Greta um jeden Preis entgehen wollte.
    Ihre Mutter war eine großartige Frau – ohne Frage. Sie war immer zur Stelle, wenn man sie brauchte. Allerdings war sie auch bei jeder anderen Gelegenheit da, denn Anette war fest davon überzeugt, es ginge niemals ohne sie. Passte man nicht sehr gut auf, hüllte sie einen in einen Kokon aus Übermütterlichkeit, der so schwer zu zerreißen war, als wäre er aus Stahl gesponnen. Dabei ging Anette keineswegs plump vor, nein. Sie war eine sanfte Tyrannin. Das hatte Greta bereits in ihrer Jugend geahnt, als die Allgegenwart ihrer Mutter in ihr einen Fluchtinstinkt wachrief, der sie bis heute begleitete. Den endgültigen Beweis dafür, dass ein Zuviel an Unterstützung für alle Beteiligten verkehrt ist, brachte ihr Studiumsbeginn: Am Bahnhof hatte Anette tapfer gewunken und unnötig oft betont, dass sie vollstes Verständnis dafür habe, dass Greta ihren Umzug nach Berlin allein hinbekommen wolle. Ihren Nervenzusammenbruch hatte sie erst dann erlitten, als der Zug nicht mehr zu sehen gewesen war. Sie vergoss endlose Tränen darüber, dass sie ihr Kind verloren habe. Gott sei Dank war Wencke zur Stelle gewesen und hatte das ganze Elend aufgefangen … Nur um es Greta später, mit scharfzüngigen Vorwürfen garniert, unter die Nase zu reiben.
    Seitdem wusste Greta, dass ihre Mutter geradezu süchtig danach war, sich für ihre Familie aufzureiben, und achtete darauf, Anette das Gefühl zu vermitteln, ihr Dasein sei ein Spaziergang im Sonnenschein, in dem es keinerlei Notwendigkeit für eine kleine Dosis Unterstützung gab. Sogar nachdem ihre Herzensangelegenheit – ein Non-Profit-Fahrradverleih in Berlin – pleitegegangen war, hatte Greta ihre Mutter davon überzeugen können, dass sie ohnehin vorgehabt hätte, zu Erik nach Zürich zu ziehen. Die Schulden, die sie dorthin begleitet hatten, verschwieg sie eisern, obwohl ihr eine Finanzspritze äußerst willkommen gewesen wäre.
    Mit ihrem heutigen Auftritt hatte Greta jedoch mit Pauken und Trompeten gegen diese Regel verstoßen. Vermutlich schleppte Anette bereits ihre Kartons vom Mietwagen ins Haus, damit das Kind sich in seinem verwirrten Zustand nicht bei Nacht und Nebel davonmachte. Gut möglich, dass sie auch die Familie anwies, sie wie eine Schwerverletzte zu behandeln.
    Allein bei der Vorstellung lief ein Schauder über Gretas Rücken. Dann ging sie zum Waschbecken, wusch sich und kämmte sich ihr welliges Haar mit den nassen Fingern, ehe sie versuchte, es in die Stirn zu frisieren. Sinnlos, die Strähnen waren zu lang. Aus dem Spiegel blickte ihr eine erschöpfte Frau entgegen, die mit fiebrigen Flecken auf den Wangen und Augenschatten deutlich älter als Ende zwanzig aussah. Wahrscheinlich würde eine durchschlafene Nacht das wieder richten, aber Greta glaubte nicht, so schnell wieder schlafen zu können. Hinter ihrer Stirn rasten Fragen, Vorwürfe und Ängste im Kreis, die sie gewiss auch nachts nicht zur Ruhe kommen lassen würden.
    Nach einem Kontrollblick auf das Shirt, das sie getragen hatte, entschied sie, dass sie unbedingt ein frisches Oberteil brauchte. Ihr wurde ganz anders bei der Vorstellung, wie sie in diesem zerknitterten Stück Stoff bei der Geburtstagsfeier ihres Großvaters eingetroffen war, dazu mit wirrem Haar und einer Schramme an der Stirn, die sie aussehen ließ wie ein Kind, das vom Fahrrad gefallen war. Dabei war sie davon ausgegangen, heute zum ersten Mal als vollwertige Erwachsene im Kreis der Familie aufzutreten: eine Frau in einer ernsthaften Beziehung, die mitten im Berufsleben stand und ein Heim vorzuweisen hatte, in dem die Einrichtung nicht aus Flohmarktmöbeln und Erbstücken des Vormieters bestand. Nun, das war gründlich schiefgegangen.
    Gerade als Greta ein paar nach Lavendel duftende Kleidungsstücke durchsah, die im Schrank lagerten, klopfte es an der Tür. Eine Schrecksekunde lang befürchtete sie, es wäre Anette, die ihr den ersten Entwurf ihres Liebeskummer-Überwindungsplans präsentieren wollte, doch für ihre Mutter war das Klopfen zu aggressiv gewesen.
    »Wencke, bist du es?«
    Die Tür

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