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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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vor einer Weile gekommen, und ich denke, er schläft jetzt, ich habe keinen Ton mehr von ihm gehört.«
    »Welche Nummer hat das Zimmer?«, fragte Holmes.
    »Nummer sechs.«
    Im Gänsemarsch brachen wir auf, einen kahlen Korridor hinunter, in dem eine einzelne Gaslampe so weit heruntergedreht war, dass wir uns in der Dunkelheit beinahe mit den Händen vorantasten mussten. Die Türen waren so eng beieinander, dass die Zimmer dahinter kaum größer als Schränke sein konnten. Nummer sechs war tatsächlich am Ende.
    Holmes hob die Faust, um anzuklopfen, dann trat er plötzlich zurück, und ein kurzer, schneller Atemzug entfuhr seinem Mund. Ich blickte nach unten und sah ein schwarzes Rinnsal unter der Tür herausquellen, das bereits eine kleine Pfütze auf dem Boden gebildet hatte. Ich hörte, wie Carstairs einen Schrei ausstieß, dann wich er zurück und bedeckte die Augen mit seiner Hand. Der Hausdiener beobachtete uns vom anderen Ende des Korridors. Es schien fast, als erwartete er die Schreckensszene, die uns bevorstand.
    Holmes drückte die Klinke herunter und rüttelte an der Tür.Sie ließ sich nicht öffnen. Ohne ein Wort zu sagen, warf er sich mit der Schulter dagegen, und das schwache Schloss brach aus dem Holz. Carstairs ließen wir auf dem Flur, nur Holmes und ich gingen hinein.
    Wir sahen sofort, dass der Fall, der zunächst so trivial erschienen war, eine schreckliche Wendung genommen hatte. Das Fenster stand offen, der Raum war durchwühlt. Und der Mann, den wir verfolgt hatten, lag zusammengekrümmt auf dem Boden, mit einem Messer im Hals.

5 Lestrade schaltet sich ein
    Vor kurzem habe ich George Lestrade mal wieder gesehen, und wie sich später zeigte, war es das letzte Mal.
    Er hat sich nie ganz von der Schussverletzung erholt, die er bei der Untersuchung der bizarren Todesfälle erlitten hatte, die als »Clerkenwell Killings« bekannt wurden, obwohl der eine im benachbarten Hoxton stattgefunden hatte und der andere sich als Selbstmord erwies.
    Als er mich besuchte, war er natürlich längst pensioniert, aber er machte sich trotzdem die Mühe, mich in dem neuen Heim zu besuchen, das ich seit kurzem bewohne, und wir verbrachten den Nachmittag mit Erinnerungen an alte Zeiten. Meine geschätzten Leser wird es nicht überraschen, dass Sherlock Holmes Hauptgegenstand unseres Gesprächs war. Ich fühle mich verpflichtet, Lestrade in mindestens zwei Punkten Abbitte zu leisten. Einerseits habe ich ihn nie in besonders schmeichelhaften Worten beschrieben. Ich entsinne mich an Wörter wie »rattengesichtig« und »wieselhaft«. Besonders freundlich war das gewiss nicht, aber zumindest zutreffend, hat doch Lestrade selbst mehr als einmal im Scherz gesagt, dass ihm die launenhafte Natur nicht das Gesicht eines Polizisten gegeben hätte, sondern das eines Gauners, und dass er wahrscheinlich ein größeres Vermögen angehäuft hätte, wenn er den Beruf ergriffen hätte, den die Schöpfung ihm nahegelegt hatte. Auch Holmes hatte von sich gesagt, dass seine Qualitäten als Fälscher und Einbrecher ihn sicher zu einem erfolgreichen Kriminellen gemacht hätten, und die Vorstellung, dass die beiden in einer anderen Welt möglicherweise als Verbrecher zusammengearbeitet hätten, amüsiert mich manchmal noch heute.
    Der Punkt, in dem ich Lestrade aber wohl tatsächlich unrecht getan habe, ist die Unterstellung, er sei nicht in der Lage gewesen, eine Ermittlung einfallsreich und vernünftig zu führen. Es stimmt zwar, dass sich Sherlock Holmes gelegentlich abfällig über ihn äußerte, aber das hatte natürlich damit zu tun, dass Holmes so einzigartig begabt war, dass sich niemand in London mit ihm vergleichen konnte. Auch über praktisch alle anderen Polizeibeamten hat er sich ziemlich kritisch geäußert. Die einzige Ausnahme bildete vielleicht Stanley Hopkins, und auch bei diesem jungen Mann kamen ihm oft genug Zweifel. Mit einem Wort: Verglichen mit Sherlock Holmes hätte wohl kaum ein Detektiv gut abgeschnitten. Selbst ich, der oft genug an seiner Seite war, musste mich manchmal daran erinnern, dass ich vielleicht doch kein kompletter Idiot war.
    Lestrade war in vieler Hinsicht ein durchaus fähiger Mann. Wenn man in den Archiven nachschlägt, wird man feststellen, dass er zahlreiche Fälle ganz selbständig aufgeklärt hat, und die Zeitungen schrieben immer positiv über ihn. Sogar Holmes bewunderte seine Hartnäckigkeit. Seine Karriere beendete er nicht umsonst als Chef der Kriminalpolizei von Scotland Yard im Range

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