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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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wäre sie mir auf die Netzhaut gebrannt worden, und obwohl ich gelegentlich gegen die verzerrende Linse der Erinnerung ankämpfen muss, um die Züge von Freund und Feind genau unterscheiden zu können, muss ich nur einmal kurz die Lider senken, um sie wieder heraufzubeschwören: Harriman, Creer, Ackland und sogar der Polizist … wie war noch sein Name? Perkins! Es ist richtig, dass ich viele Abenteuer mit Holmes erlebt und ihn häufig in Schwierigkeiten gesehen habe. Manchmal dachte ich sogar, dass er tot wäre. Noch einen Monat zuvor hatte ich erlebt, wie er hilflos im Delirium lag, weil er sich mit einer Kulikrankheit aus Sumatra infiziert hatte. In der Poldhu Bay in Cornwall wäre er wahrscheinlich einem selbstzerstörerischen Wahn zum Opfer gefallen, wenn ich ihn nicht aus dem Cottage gezerrt hätte. Ich erinnere mich noch an meine Nachtwache an seiner Seite, als in Surrey eine tödliche Sumpfotter aus der Dunkelheit kam. Und wie sollte ich diese kurze Aufzählung beenden, ohne mich an die schreckliche Verzweiflung und die Einsamkeit zu erinnern, als ich damals allein von den Reichenbachfällen zurückkehrte? Und doch verblassen all diese Ereignisse im Vergleich mit jener Nacht in Bluegate Fields. Armer Holmes! Ich sehe noch, wie er allmählich das Bewusstsein wiedererlangte, nur um sich umstellt und verhaftet zu sehen, gänzlich außerstande, sich selbst oder irgendwem zu erklären, was da gerade passiert war. Er selbst hatte die Entscheidung getroffen, in diese Falle zu gehen. Und das war das betrübliche Ergebnis.
    Noch vor mir war ein Polizist eingetroffen, ich weiß nicht, woher. Er war jung und nervös, aber insgesamt erledigte er seine Arbeit mit lobenswerter Effizienz. Zunächst überprüfte er, ob das Mädchen tatsächlich tot war, dann wandte er seine Aufmerksamkeit meinem Freund zu. Holmes sah schrecklich aus. Seine Haut war so weiß wie Papier, und obwohl seine Augen offen standen, schien er nichts sehen zu können … zumindest erkannte er mich nicht.
    Die Menschenansammlung machte die Dinge nicht einfacher, und erneut begann ich mich zu fragen, was das eigentlich für Leute waren und wieso sie sich mitten in der Nacht hier versammelt hatten. Zwei Frauen waren darunter, sie ähnelten der aufgetakelten Person, die uns am Kanal begegnet war, in ihrer Begleitung zwei Seeleute, die nach Bier stanken und sich eng aneinanderlehnten. Ein Neger starrte mit großen Augen auf die Tote, und neben ihm standen ein paar von meinen maltesischen Trinkkumpanen aus dem Rose and Crown . Sogar ein paar Kinder waren erschienen, zerlumpte, barfüßige Gestalten, die das Schauspiel genossen, als wäre es eigens für sie inszeniert worden.
    Während ich das alles noch zu begreifen versuchte, trat plötzlich ein elegant gekleideter, hochgewachsener, rotgesichtiger Mann vor, gestikulierte mit seinem Stock und rief: »Nehmen Sie ihn fest, Constable! Ich habe gesehen, wie er das Mädchen erschossen hat. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.« Er hatte einen starken schottischen Akzent, der nicht recht zu seiner Erscheinung passte, so dass man den Eindruck hatte, dasalles wäre nur ein Schauspiel und er wäre ein Zuschauer, der ungebeten auf die Bühne gewandert war. »Gott helfe dem armen Geschöpf. Er hat sie kaltblütig umgebracht.«
    »Wer sind Sie?«, fragte der Polizist.
    »Mein Name ist Thomas Ackland. Ich war auf dem Weg nach Hause. Ich habe genau gesehen, was passiert ist.«
    Ich konnte nicht länger beiseitestehen, sondern schob mich nach vorn und kniete mich neben meinen gefallenen Freund. »Holmes!«, rief ich. »Können Sie mich verstehen, Holmes? Um Himmels willen, sagen Sie mir, was passiert ist!«
    Aber Holmes war immer noch unfähig zu antworten, dafür wandte jetzt der Constable seine Aufmerksamkeit mir zu. »Kennen Sie diesen Mann?«, fragte er.
    »Ja, in der Tat. Das ist Sherlock Holmes.«
    »Und wer sind Sie?«
    »Mein Name ist John Watson, und ich bin Arzt. Bitte erlauben Sie mir, mich um meinen Freund zu kümmern. Auch wenn die Fakten ganz eindeutig zu sein scheinen, kann ich Ihnen versichern, dass er unschuldig ist. Er hat kein Verbrechen begangen.«
    »Das ist nicht wahr«, fuhr Ackland dazwischen. »Ich habe gesehen, wie er auf das Mädchen geschossen hat. Mit seiner eigenen Hand hat er abgedrückt.« Er trat einen Schritt vor. »Ich bin ebenfalls Arzt«, sagte er. »Und ich kann Ihnen sagen, dass der Mann unter dem Einfluss von Opium steht. Das sieht man an seinen Augen und man riecht es an seinem

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