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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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Können Sie mir kurz Bericht erstatten, was Sie in Erfahrung gebracht haben? Aber machen Sie’s kurz. Es ist eine verdammt kalte Nacht, und je schneller wir fertig sind, desto eher können wir alle wieder ins Bett.« Er hörte schweigend zu, während der Constable seinen Bericht gab, der wenig mehr enthielt, als ich schon wusste. Dann nickte er. »Sehr gut, Constable Perkins. Kümmern Sie sich um diese Leute. Schreiben Sie alle Einzelheiten in Ihr Notizbuch. Ich übernehme den Fall.«
    Ich habe den Neuankömmling bisher nicht beschrieben und finde das auch gar nicht so einfach, denn er war eins der reptilienhaftesten Wesen, denen ich je begegnet bin. Seine Augen waren so schmal, seine Lippen so dünn und seine Haut so glatt, dass er fast gar kein Gesicht hatte. Sein auffälligstes Kennzeichen waren dichte, glatte Haare von geradezu unnatürlichem Weiß; das heißt, eigentlich waren sie wohl einfach farblos, denn er war ja nicht alt, sondern höchstens dreißig oder fünfunddreißig Jahre alt. Diese weiße, nach hinten gestriegelte Mähne stand in krassem Gegensatz zu seiner Kleidung, die aus einem schwarzen Mantel, schwarzen Handschuhen und einem schwarzen Schal bestand. Obwohl er nicht sehr groß war, verstand ersich durchzusetzen, was man schon an der Art spürte, wie er die Kontrolle über die Situation übernommen hatte. Er sprach nicht laut, aber seine Stimme hatte eine Schärfe und Arroganz, die keinen Zweifel daran ließ, dass er es gewohnt war, dass man ihm gehorchte. Was mich aber am meisten einschüchterte, war seine mineralische Kälte, sein Mangel an Bereitschaft, sich emotional auf irgendwen einzustellen. Das war es, was mich an eine Schlange erinnerte oder an flüssiges Quecksilber. Vom ersten Augenblick an hatte ich das Gefühl, dass er um mich herum glitt. Er war jemand, der durch einen hindurchsah, einen aber nie ansah . Ich hatte nie zuvor jemanden kennengelernt, der sich so unter Kontrolle hatte, der so sehr in seiner eigenen Welt lebte, wo wir anderen nur Eindringlinge waren, die sich nicht nähern durften.
    »Ihr Name ist also Dr. Watson?«, sagte er.
    »Ja.«
    »Und das da ist Sherlock Holmes! Tja, ich bezweifle, dass wir über diese Sache hier in Ihren berühmten Erzählungen lesen werden, es sei denn, Sie gedenken über ›Die Abenteuer des psychotischen Opiumrauchers‹ zu schreiben. Ihr Kollege war heute Abend in Creer’s Place?«
    »Er hat Ermittlungen durchgeführt.«
    »Ermittlungen mit der Nadel und einer Pfeife, wie es scheint. Eine recht unorthodoxe Form der Detektivarbeit, würde ich sagen. Nun, Sie können jetzt gehen, Dr. Watson. Es gibt nichts, was Sie hier noch tun könnten. Eine schöne Sauerei ist das hier! Das Mädchen kann nicht viel älter als sechzehn sein, oder siebzehn.«
    »Ihr Name ist Sally Dixon. Sie hat zuletzt in einer Gastwirtschaft in Lambeth gearbeitet. Im Bag of Nails . «
    »Heißt das, ihr Mörder hat sie gekannt?«
    »Mr. Holmes ist nicht ihr Mörder!«
    »Ja, das versuchen Sie uns einzureden. Bedauerlicherweise gibt es Zeugen, die das ganz anders sehen.« Er warf dem Schotten einen Blick zu und wandte sich dann an ihn. »Sie sind Arzt?«
    »Ja, Sir.«
    »Und Sie haben gesehen, was heute Abend hier geschehen ist?«
    »Ich habe es schon dem Constable erzählt, Sir. Das Mädchen hat auf der Straße gebettelt. Dieser Mann kam aus dem Gebäude da drüben. Ich dachte, er wäre betrunken oder verrückt. Er folgte dem Mädchen auf diesen Platz hier und tötete sie mit seinem Revolver. So einfach war das.«
    »Geht es Mr. Holmes Ihrer Ansicht nach gut genug, um mit mir auf die Wache nach Holborn zu kommen?«
    »Laufen kann er nicht. Aber es gibt keinen Grund, warum er nicht in einer Droschke mitfahren könnte.«
    »Es ist schon eine unterwegs.« Der weißhaarige Mann, der immer noch nicht seinen Namen genannt hatte, ging langsam zu Holmes hinüber, der immer noch auf dem Boden lag, sich inzwischen aber etwas erholt hatte und darum kämpfte, die Fassung zurückzugewinnen. »Können Sie mich verstehen, Mr. Holmes?«
    »Ja.« Es war das Erste, was er gesagt hatte.
    »Ich bin Inspektor Harriman. Ich verhafte Sie wegen des Mordes an dieser jungen Frau, Sally Dixon. Sie werden mich jetzt zur Wache begleiten. Verstehen Sie?«
    »Das ist ungeheuerlich!«, rief ich. »Ich sage Ihnen, dass Sherlock Holmes nicht das Geringste mit diesem Verbrechen zu tun hat. Ihr Zeuge lügt. Das ist eine Verschwörung –«
    »Wenn Sie nicht wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und

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