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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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Holmes, und ich sah, wie sein Atem ein Rauchwölkchen vor dem Mund bildete. »Da vorn ist die Milward Street, und ich vermute, das da drüben ist Creer’s Place. Ich sehe das rote Licht an der Tür.«
    »Holmes, ich bitte Sie ein letztes Mal, lassen Sie mich lieber mitkommen.«
    »Nein, nein. Es ist besser, Sie bleiben draußen. Denn wenn sich herausstellt, dass ich erwartet werde, sind Sie in einer stärkeren Position, wenn Sie mir von draußen zu Hilfe kommen.«
    »Sie glauben, dass Henderson Sie belogen hat?«
    »Seine Geschichte erschien mir in jeder Hinsicht unglaubwürdig.«
    »Dann verstehe ich um Himmels willen nicht –«
    »Man kann nie ganz sicher sein, Watson, wenn man nicht reingeht. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass er die Wahrheit gesagt hat. Aber wenn das eine Falle ist, dann werden wir sie zuschnappen lassen und sehen, wohin sie uns führt.« Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, aber er fuhr fort: »Wir sind da auf etwas sehr Großes gestoßen, mein Freund. Diese Sache ist einzigartig, und wir werden sie nicht ergründen, wenn wir nicht bereit sind, Risiken einzugehen. Ich rechne damit, dass Sie eine Weile auf mich warten müssen. Ich würde deshalb vorschlagen, dass Sie sich den durchaus fragwürdigen Annehmlichkeiten dieser Gastwirtschaft hier überlassen. Wenn ich nach einer Stunde nicht wieder aufgetaucht bin, müssen Sie mir folgen. Aber seienSie ja vorsichtig! Und wenn Sie Schüsse hören, müssen Sie sofort kommen.«
    »Ganz wie Sie wollen, Holmes.« Aber ich hatte die schlimmsten Befürchtungen, als er über die Straße ging und in den Nebel tauchte. Einen Augenblick später sah ich ihn auf der anderen Seite im rötlichen Schein der Laterne stehen, der aus der Tür von Creer’s Place drang. Aus der Entfernung hörte ich eine Kirchturmuhr elf schlagen. Noch ehe der erste Ton ganz verklungen war, war Holmes verschwunden.
    Selbst in meinem dicken Armeemantel war es zu kalt, um lange im Freien zu bleiben. Außerdem hatte ich keine Lust, mitten in der Nacht in einem Viertel, dessen Bewohner zur niedrigsten Klasse gehörten und bekanntermaßen bösartig und halb kriminell waren, eine Stunde lang auf der Straße zu stehen.
    Ich stieß die Tür des Rose and Crown auf und fand mich in einem Schankraum wieder, der durch eine schmale Theke in zwei Hälften geteilt wurde. Die Zapfhähne für das Bier hatten bunt bemalte Porzellankolben, und dahinter standen auf zwei Regalen die Schnapsflaschen. Zu meiner Überraschung hatten sich trotz des harschen Wetters fünfzehn oder zwanzig Gäste versammelt. Sie drängten sich an den Tischen, tranken, rauchten und spielten Karten. Der Tabakqualm war zum Schneiden dick, und der Geruch nach brennendem Torf aus dem gusseisernen Ofen in der Ecke machte die Luft nicht besser. Abgesehen von ein paar Kerzen war der Ofen die einzige Lichtquelle, schien aber fast die gegenteilige Wirkung zu haben, denn wenn man auf die rote Glut hinter dem dicken, rußigen Glasfenster blickte, schien es eher, als ob das Feuer das letzte Licht aus dem Raum saugte und dann als schwarzen Rauch durch den Schornstein hinaus in die Nacht schickte. Neben der Tür saß eine Frau vor einem abgenutzten Klavier und klimperte müßig darauf herum. Das war die Musik, die ich von draußen gehört hatte.
    Ich trat an die Theke, ließ mir von einem grauhaarigen alten Mann mit Katarakten in den Augen ein Glas Ale einschenken und versuchte dann, ohne zu trinken, meine Schreckensvorstellungen über das zu verdrängen, was Holmes womöglich gerade erlebte. Die Mehrzahl der Männer, die um mich herum standen und saßen, waren Matrosen und Schauerleute. Viele davon waren Ausländer, vor allem Malteser und Spanier. Keiner von ihnen beachtete mich, und dafür war ich sehr dankbar. Auch untereinander sprachen sie wenig, und die Einzigen, die wirklich Lärm machten, waren die Kartenspieler.
    An der Wand zeigte eine Uhr die vergehende Zeit, aber mir schien, als ob sich der Minutenzeiger überhaupt nicht bewegte, als ob er die Gesetze der Zeit bewusst ignorierte, um mich zu quälen. Ich habe – mit oder ohne Holmes – oft genug darauf gewartet, dass ein Verbrecher sich zeigte, ob im Moor nahe Baskerville Hall, am Ufer der Themse oder in den Gärten der Vororte. Aber die fünfzig Minuten, die ich in diesem kleinen Schankraum verbrachte, wo die Karten auf die Tische klatschten und ein verstimmtes Klavier klimperte, wo dunkelgesichtige Seeleute in ihre Gläser starrten, als ob dort die Antworten auf

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