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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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Atem. Sie brauchen gar nicht weiter nach einem Motiv für dieses sinnlose, üble Verbrechen zu suchen.«
    Hatte er recht? Holmes lag immer noch da und war nicht in der Lage zu sprechen. Wahrscheinlich stand er tatsächlich unter dem Einfluss eines Betäubungsmittels, und angesichts der Tatsache, dass er fast die ganze letzte Stunde in Creer’s Placezugebracht hatte, wäre es wenig plausibel gewesen, dass eine andere Ursache als die von Ackland genannte Droge für seinen Zustand verantwortlich war. Und doch gab es etwas an dieser Diagnose, was mich nicht überzeugte. Ich musterte die Augen meines Freundes genauer, und obwohl sie weit offen standen, fehlte doch die hässliche Verengung der Pupillen auf die Größe von Stecknadelköpfen, die ich erwartet hätte.
    Ich fühlte ihm den Puls und fand ihn beinahe zu träge, so als wäre er gerade aus tiefem Schlaf erwacht – nicht der Puls eines Mannes, der sich der Anstrengung unterzogen hatte, ein junges Mädchen zu jagen und mit zwei Kugeln niederzustrecken. Und seit wann hätte Opium jemals zu einem solchen Ereignis geführt? Zu seinen Wirkungen gehören Euphorie, völlige Entspannung und Befreiung von Schmerzen. Aber ich hatte noch nie gehört, dass Opiumraucher zu Gewalttaten neigten. Und selbst wenn er unter der schlimmsten Paranoia gelitten hätte, was hätte sein verwirrtes Gehirn für Gründe erfinden sollen, um ausgerechnet das Mädchen zu töten, das er so dringend gesucht hatte und das er unbedingt schützen wollte? Und wieso war sie eigentlich hier? Außerdem bezweifelte ich, dass Holmes unter dem Einfluss von Opium überhaupt so genau hätte schießen können. Er hätte schon Schwierigkeiten gehabt, die Waffe ruhig zu halten. Ich stelle das alles hier in einer Ausführlichkeit dar, als wäre ich damals in der Lage gewesen, die Beweislage gründlich zu prüfen, aber in Wirklichkeit war meine Einschätzung das Werk von Sekunden und beruhte allein auf meiner langjährigen ärztlichen Erfahrung und meiner persönlichen Kenntnis des Beschuldigten.
    »Haben Sie diesen Mann heute Abend hierher begleitet?«, fragte der Constable.
    »Ja. Wir waren aber für eine Weile getrennt. Ich war im Rose and Crown.«
    »Und er?«
    »Er?« Ich unterbrach mich, denn eins durfte ich auf keinen Fall tun: Ich durfte nicht sagen, wo Holmes gewesen war. »Mein Freund ist ein berühmter Detektiv und war mit der Lösung eines Falles beschäftigt. Sie werden bald merken, dass er in Scotland Yard sehr bekannt ist. Fragen Sie nach Inspektor Lestrade, der wird für ihn bürgen. So schlimm es auch aussieht, die Sache muss eine ganz andere Erklärung haben.«
    »O nein«, warf Dr. Ackland ein. »Es gibt keine andere Erklärung. Der Mann kam hier um die Ecke gestolpert. Das Mädchen stand auf der Straße und hat gebettelt. Er hat seine Waffe gezogen und sie erschossen.«
    »Da ist Blut auf seiner Kleidung«, stimmte der Constable zu, wenn auch mit einem gewissen Zögern. »Er muss ganz in der Nähe gewesen sein, als sie getötet wurde. Und als ich hier im Hof ankam, war sonst niemand zu sehen.«
    »Haben Sie gesehen, wie die Schüsse abgefeuert wurden?«, fragte ich.
    »Nein. Aber ich bin kurz darauf gekommen. Und vom Tatort ist niemand weggelaufen.«
    »Er war’s!«, schrie jemand aus der Menge, und dem folgte ein zustimmendes Murmeln, in das auch die Kinder einstimmten, die offensichtlich entzückt waren, bei diesem Schauspiel in der ersten Reihe zu stehen.
    »Holmes!«, rief ich noch einmal, kniete mich neben ihn und versuchte, seinen Kopf mit den Händen zu stützen. »Können Sie mir sagen, was hier passiert ist?«
    Holmes gab immer noch keine Antwort, und einen Augenblick später merkte ich, dass sich ein weiterer Mann lautlos genähert hatte und jetzt über mir aufragte, direkt neben dem schottischen Arzt. »Würden Sie bitte aufstehen«, sagte er mit einer Stimme, die so kalt war wie die Nacht.
    »Dieser Mann ist mein Freund –«, sagte ich.
    »Und das hier ist ein Tatort, an dem Sie nichts zu suchen haben. Stehen Sie auf und treten Sie zurück. Vielen Dank. Falls irgendjemand etwas gesehen hat, soll er dem Beamten seinen Namen und seine Adresse angeben. Alle Übrigen kehren bitte in ihre Häuser zurück. Die Kinder hier sollen verschwinden, ehe ich sie alle einsperre! Habt ihr gehört? Constable? Wie heißen Sie? Perkins? Sind Sie hier der zuständige Beamte?«
    »Ja, Sir.«
    »Ist das Ihr Revier?«
    »Ja, Sir.«
    »Nun, Sie scheinen Ihre Sache bisher ganz gut gemacht zu haben.

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