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Das Geheimnis meiner Mutter

Das Geheimnis meiner Mutter

Titel: Das Geheimnis meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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einer tieferen Ebene ergründen. Er wollte Einzelheiten und Gefühle, die in der Kolumne nicht erforderlich waren. Er wollte Pathos – das Verschwinden ihrer Mutter, die Abwesenheit und das dramatische Auftauchen ihres Vaters. Und auch wenn Mr Greer Joeys Namen nur im Vorbeigehen bemerkt hatte, hatte er die Tragödie dahinter sofort gerochen. Jenny war sich nicht sicher, ob sie die Worte finden würde, um darüber zu schreiben.
    Sie stand frustriert auf und wanderte unruhig auf und ab, die Daumen in die hinteren Taschen ihrer Jeans gehakt. Im Vorbeigehen machte sie das Radio an. Hier oben konnte nur ein Sender klar empfangen werden, dessen Musikauswahl ein wenig alt und langweilig war, aber manchmal zog sie das murmelnde Hintergrundgeräusch der totalen Stille vor. Sie ging weiter auf und ab, das ganze Lied „My Sharona“ hindurch, und war noch nicht einmal versucht zu tanzen. Dem Song folgte ein amateurhaft klingender Werbespot, der mit „Palmquist’s – Ihr Familienjuwelier seit 1975“ endete.
    1975 war ihre Mutter ein attraktiver Teenager gewesen und hatte nach der Schule als Aushilfe bei dem Juwelier gearbeitet. Granny und Grandpa hatten Jenny erzählt, dass es sehr ambitioniert von ihrer Mutter gewesen war, diesen Job zusätzlich zu ihrem Frühdienst in der Bäckerei anzunehmen. Sogar Jane Bellamy erinnerte sich daran – dass Mariska immer versucht hatte voranzukommen.
    Jenny schlug eines der gespendeten Jahrbücher bei einem Foto ihrer Mutter auf. Sie hatte eine strahlende Leichtfertigkeit an sich, die, wenn man Laura glaubte, die Leute angezogen hatte wie das Licht die Motten. Jenny hatte diese Ausstrahlung nicht. Vielleicht hätte sie sie entwickeln können, wenn ihre Mutter dageblieben wäre.
    Aber wollte sie wirklich wie Mariska sein? Wollte sie so verliebt ins Abenteuer sein, dass sie ihr Heim irgendwann für immer verlassen würde?
    „Ich hoffe, du bist glücklich, wo immer du dich auch gerade aufhältst“, sagte sie zu dem Mädchen auf dem Foto.
    Ihr stieg ein scharfer, metallischer Geruch in die Nase, und erschrocken stellte sie fest, dass das Wasser in dem Kessel auf dem Ofen verkocht war. Sie zog einen Ofenhandschuh an und trug den Kessel in die Küche, um ihn nachzufüllen. Das laute Zischen weckte Rufus aus seinem Nickerchen auf dem Teppich vor dem Ofen. „Sorry, Süßer“, sagte sie.
    Der Gestank von trockenem Eisen und heißem Dampf weckte eine entfernte Erinnerung in ihr. Irgendetwas in ihrem Inneren wurde davon aufgeweckt. Sie schloss ihre Augen und stellte sich eine Szene aus der Vergangenheit in allen Einzelheiten vor. Die Küche roch nach Eisen und Dampf, und aus dem Radio erklang ein vertrautes Lied – „867-5309/ Jenny“.
    Sie überließ sich ganz der Vergangenheit, betrat in ihrer Vorstellung die Szene, mit deren Beschreibung sie die ganze Zeit Schwierigkeiten gehabt hatte. Es war Winter, und sie war noch sehr klein. Sie saß an dem runden Resopaltisch, vor sich einen Becher Kakao. Der Becher hatte die Form eines Elefantenkopfes, dessen zwei Ohren die Henkel bildeten.
    Ihre Mutter stand am Herd und wiegte sich zur Musik. Jedes Mal, wenn aus dem Radio „Jenny, Jenny“ ertönte, drehte Momma sich um und sang mit, wobei sie auf Jenny zeigte und sie damit zum Kichern brachte.
    „Was machst du?“, fragte Jenny und schaute mit großen Augen auf die Pfanne auf dem Herd.
    „Ein Vermögen“, erwiderte Momma lachend.
    „Was ist das?“
    „Das findest du noch raus, wenn du älter bist.“
    „Kann ich helfen?“ Jenny glitt von ihrem Stuhl und ging quer durch die Küche zu ihrer Mutter, wobei ihre Winnie-Puuh-Schlappen über das Linoleum schlurften.
    „Nein“, sagte Momma mit einer Stimme, die bedeutete, dass sie es auch so meinte. „Das ist heiß. Fass es nicht an. Das sind Bleigewichte fürs Angeln.“
    Jenny blieb ein Stück entfernt stehen und sah zu. Die Fenster waren offen, um den Gestank loszuwerden, wie Momma gesagt hatte. Sie goss die dunkle Flüssigkeit aus der Pfanne in einen Einsatz. Dann tanzte sie, bis das Lied zu Ende war. Sie war so hübsch und glücklich. „Ich denke, ich gehe heute aus und feiere ein wenig.“
    „Nein, Momma“, protestierte Jenny. „Du gehst immer weg.“
    „Und ich komme immer wieder. Komm, jetzt warten wir, bis die hier abgekühlt sind, dann können wir sie in Grandpas Köderbox tun. Pass auf, dass du keinen davon verlierst.“
    Vom Ofen ertönte ein ploppendes Geräusch, und Jenny öffnete die Augen und blinzelte in das harsche

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