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Das Geheimnis meiner Mutter

Das Geheimnis meiner Mutter

Titel: Das Geheimnis meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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dass man jemanden niemals ganz verlieren konnte, solange man seine Erinnerung im Herzen behielt und mit ganz viel Liebe hegte und pflegte.
    Sie stieß den angehaltenen Atem aus, öffnete die Augen und blinzelte in die kalte Nacht. Es funktionierte nicht. Da war nichts in ihrem Herzen. Sie fühlte sich ausgehöhlt, und die von keiner Vernunft geleitete Panik wirbelte in ihrem Inneren herum.
    Ein Auto bog um die Ecke und tauchte die Gegend in weißes Licht. Auf der anderen Straßenseite bewegte sich eine Gardine im Haus von Mrs Samuelson. Als der Besucher näher kam, erkannte Jenny Rourke. Er stellte sein Auto hinter ihrem ab, stieg aus und kam auf sie zu. Jennys Herz setzte einen Schlag aus.
    Er trug immer noch seine Dienstkleidung. Sein langer Mantel wehte hinter ihm her.
    Sie zitterte und steckte ihre Hände in die Taschen. „Hey“, sagte sie.
    „Selber hey.“ Er ließ seinen Blick über das leere Grundstück schweifen. „Ist alles okay?“
    „Sicher.“ Sie wusste, die echte Frage lautete: Was tust du hier? „Ich, äh, bin aus Versehen hier entlanggefahren. Quasi auf Autopilot.“ Sie verzog ihre Lippen zu einem ironischen Lächeln. „Ich hab mich noch nicht ganz an diese Obdachlosennummer gewöhnt.“ Sie ertrug es nicht, seinen Gesichtsausdruck zu sehen, diese Mischung aus Mitgefühl und Freundlichkeit. Also lehnte sie sich zurück und richtete ihren Blick auf die Stelle, wo das Fenster ihres im ersten Stock gelegenen Schlafzimmers gewesen war.
    „Weißt du, dass ich als Kind oft aus dem Fenster auf diesen Ast dort geklettert bin?“ Sie zeigte auf den Ahornbaum. „Ich bin nicht ein einziges Mal erwischt worden.“
    „Was hast du da draußen gemacht?“
    Sie versuchte, den Grund für die Schärfe in seiner Stimme herauszufinden. „Das war ganz unterschiedlich“, sagte sie. „Meistens habe ich mich unten am Fluss mit meinen Freunden getroffen. Manchmal sind wir aber auch zum Autokino in Coxsackie gegangen. Ich würde nicht sagen, dass wir jugendliche Straftäter waren oder so. Meinen Großeltern zuliebe habe ich immer versucht, mich von allem Ärger fernzuhalten.“
    „Ich wünschte, das würden alle Kinder tun“, sagte Rourke. „Das würde meinen Job erheblich vereinfachen.“
    „Wegen meiner Mutter taten mir meine Großeltern immer leid“, erklärte Jenny. Mit jedem Atemzug, den sie nahm, verebbte die Panik in ihrer Brust ein Stückchen mehr. „Sie hat ihnen das Herz gebrochen. Meine Großeltern umgab immer eine gewisse Trauer – vor allem meinen Grandpa. Als die Ärzte ihm sagten, dass er es nicht schaffen würde, sagte er, vielleicht kommt sie zu meiner Beerdigung.“ Jenny stieß die Spitze ihres Stiefels in den Schnee. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass sie für den Fehler ihrer Mutter Buße tun musste. „Da meine Mutter nie zurückkam, um sie zu besuchen, versprach ich ihnen, sie niemals zu verlassen.“ Schon in sehr jungen Jahren hatte Jenny gemerkt, dass es ihre Aufgabe war, die Traurigkeit von ihren Großeltern fernzuhalten. Diese Rolle hatte sie für Jahre gespielt, und es fühlte sich seltsam an, das nun nicht mehr tun zu müssen.
    Ein paar Minuten lang sagte Rourke nichts. Jenny machte im Kopf den Selbsttest, den der Arzt ihr empfohlen hatte. Noch vor wenigen Augenblicken war sie eine Acht gewesen. Jetzt war sie zu einer Sechs heruntergefahren, vielleicht sogar einer Fünf oder Vier, was eine riesige Erleichterung war. Vielleicht lag es an der halben Tablette, die sie genommen hatte. Oder vielleicht ließ sie diese Phase nun einfach endlich hinter sich.
    „Es gab mehrere Kisten voll mit Berichten über das Verschwinden meiner Mutter“, sagte sie. „Sie sind auch alle im Feuer verloren gegangen.“
    „Im Revier ist alles archiviert“, versicherte Rourke ihr. „Wenn du willst, kann ich mal nachsehen, was dort in den Akten steht.“
    „Danke. Ich denke in letzter Zeit mehr an sie, als ich es sonst tue.“ Ein leichter Schneefall setzte ein. „Es ist komisch, aber ein Teil von mir dachte, sie würde vielleicht wiederkommen, nachdem meine Großmutter gestorben war.“
    „Warum ist das komisch?“
    „Okay, das war eine schlechte Wortwahl. Seltsam trifft es eher. Es war seltsam, so etwas zu denken. Ich meine, wenn sie schon nicht zurückgekommen ist, als ihr Vater krank wurde, nicht kam, nachdem ihre Mutter einen Schlaganfall hatte und wir Insolvenz anmelden mussten … wenn diese Vorfälle sie nicht zurückgebracht haben, wäre es dumm zu denken, Grannys Tod könnte

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