Das Geheimnis von Mikosma: Geblendet
oder schüttelten je nach Bedarf ihre Köpfe. Benjamin hatte die Arme stur über der Brust verschränkt und starrte aus dem Fenster.
»Er wäre jetzt lieber im Schloss des Relaxus«, dachte Leandra mitfühlend, »aber wer wäre das jetzt nicht.«
Neben seinem Bett war Jenny untergebracht. Sie merkte wohl, dass Leandra zu ihr hinüber sah, denn in dem Moment setzte sie sich in ihrem Bett auf und starrte sie mit zornigen Blicken an. Die Augen funkelten dabei böse und ihre kleine Stirn legte sich in Falten. Im nächsten Moment ließ sie sich wieder zurückfallen und schloss die Augen.
»Das darf doch nicht wahr sein«, ärgerte sich Leandra. »Es scheint ja so, als ob sie mich für das Fieber verantwortlich macht! So einem ungezogenen Gör bin ich noch nie zuvor begegnet!«
Leandra beschloss, sich Jenny nach ihrer Genesung kräftig zur Brust zu nehmen. Ihr Zorn verflog jedoch sofort, als Henry und Luca zu ihr ans Bett kamen. An Lucas Seite stand ein großes, schwarzhaariges Mädchen , das ihre schulterlan gen Haare zu einem Zopf zusammengebunden hatte. Ihre dunklen Augen lächelten freundlich und auch sie trug viele Sommersprossen auf der Nase. Luca deutete auf das Mädchen und zog es zu sich heran. Dann sah er Leandra mit großen Augen an. Leandra schüttelte den Kopf. Sie hatte Luca nicht verstanden. Dieser stampfte entrüstet mit einem Bein auf den Boden und wiederholte die Szene. Mit fragenden Augen suchte Leandra Hilfe bei Henry. Dieser griff nach Lucas kleiner Stupsnase und drückte seinen Finger darauf. Anschließend zeigte er auf das Näschen des Mädchens. Jetzt fiel Leandra die große Ähnlichkeit zwischen den beiden auf: Das musste Francesca, Lucas Schwester sein! Sie riss die Augen auf, klopfte sich gegen die Stirn und gab seinen Freunden damit zu verstehen, dass sie ihre Erklärungsversuche begriffen hatte. Freudig streckte Leandra Francesca ihre Hand entgegen, die sie sofort ergriff. Wie zwei alte Freundinnen, die sich schon lange nicht mehr gesehen hatten, schüttelten sie wild die Hände und grinsten sich, trotz des schwarzen Kolosses inmitten ihrer Gesichter, fröhlich an. Luca war diese Begrüßung anscheinend zu emotional, denn er zog ihre beiden Hände energisch auseinander und verdrehte genervt die Augen. Henry deutete auf seine Zunge und hob fragend die Schultern. Leandra wusste ebenso wenig wie er, wie sich das Peppep-Fieber unter den Rotfedern verbreiten konnte. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als die Zeit abzuwarten, bis sie wieder geheilt waren. Jemand schob sich zwischen Luca und Henry. Leandra stellte erfreut fest, dass es ihr treuer Kobold Erlas war. Dieser sprang mit einem Satz auf Leandras Bettdecke und betrachtete neugierig den schwarzen Lappen zwischen ihren Lippen.
»Igitt, Leandra! Das sieht ja scheußlich aus!«, rief er angewidert und verzog seinen kleinen Mund. Leandra warf ihm einen entnervten Blick zu.
Erlas hatte das Zeichen verstanden und schlug sofort einen anderen Ton an.
»Ihr habt Glück. Das Fieber ist harmlos im Gegensatz zu dem der Blaufedern. Wie es aussieht, wird sich euer Monstrum im Nu wieder zu einer ansehnlichen rosafarbenen, zarten Zunge verwandeln. Doktor Medikatus sagte mir, dass er es noch nie erlebt hätte, dass das Fieber so harmlos verlaufen sei.«
Die vier Kinder atmeten erleichtert aus und versuchten, ein Lächeln zu formen. Leandra packte Erlas am Ärmel und sah ihm tief in die Augen.
»Du weißt, Leandra, was ich dir auf dem Plateau gesagt habe: Das Fieber bricht aus, wenn einer in der Gruppe ein falsches Spiel spielt. Unter den Rotfedern muss sich jemand befinden, der nicht das zu sein scheint, was er vorgibt. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen.«
Erlas wechselte gekonnt das Thema und sprach in dramatischen Bildern von der Rettungsaktion im Labyrinth. Leandra jedoch hörte ihm nicht mehr zu.
»Jemand treibt ein falsches Spiel«, wiederholte sie noch einmal. »Aber wer soll das sein?«
Während sie über die Worte des Kobolds nachdachte, bemerkte sie, dass der Ekel erregende Geschmack des Speichels allmählich immer schwächer wurde. Auch die Spannung zwischen ihren Backenzähnen nahm ab und Leandra hätte vor Glück schreien können, als ihre Zähne mit einem Ruck aufeinander stießen. Die Zunge war wieder in Richtung Gaumen gewandert und hatte die gewohnte Größe er reicht. Leandra ließ sie über ihre Lippen gleiten und schluckte den letzten Tropfen dieses stinkenden Schleimes hinunter. So schnell hatte sie die Genesung nicht erwartet!
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