Das Geheimnis von Mulberry Hall
Strähnen um ihre hellen Schultern. Inzwischen hielt sie sich schützend ihren Pullover vor den Oberkörper, und die vom Kuss leicht geschwollenen Lippen waren dunkelrot.
Mit der Rückseite seiner Finger strich er Lexie über die Wange, wo seine Bartstoppeln einen rosafarbenen Ausschlag hinterlassen hatten. „Ich muss mich wohl mal rasieren, was?“, murmelte er.
Ungläubig riss sie die Augen auf. Zuerst drängte er sich ihr auf, beleidigte sie anschließend und nun dieser sinnlose Kommentar? „Soll das etwa alles sein?“, fuhr sie ihn an. „Keine Entschuldigung? Kein Versprechen, dass so etwas nicht noch mal passieren wird? Nur dieser blöde Satz: Ich muss mich wohl mal rasieren, was? Das darf doch nicht wahr sein!“
Seine Arroganz kehrte zurück und legte sich wie ein schützender Mantel um ihn. „Ich denke nicht, ich müsste mich für etwas entschuldigen, das du ebenso wolltest wie ich. Zudem ist es nicht meine Art, Versprechen zu geben, die ich eventuell nicht einhalten kann.“
Fassungslos starrte Lexie ihn an. „Du selbstherrlicher, unerträglich aufgeblasener, widerwärtiger …“ Zu wütend, um diesen Satz zu beenden, verstummte sie. Ein paar Sekunden lang hielt sie den Atem an, dann platzte doch ein Schimpfwort aus ihr heraus. „Mistkerl!“
„Sehr originell“, bemerkte Lucan trocken.
„Den Ausdruck, den ich eigentlich verwenden wollte, hättest du noch weniger gemocht“, konterte sie wie aus der Pistole geschossen.
Er schüttelte den Kopf. „Kann nicht schlimmer sein als alles, was ich mir selbst schon vorgeworfen habe.“
Lexie blinzelte frustriert. „Eines kannst du mir glauben. Gäbe es eine Möglichkeit, noch heute hier zu verschwinden, würde ich es tun. Aber das läuft leider nicht, deshalb gehe ich jetzt nach oben ins Bett.“ Sie nahm ihre Tasche vom Stuhl. „Ist dir egal, welches Zimmer ich nehme? Abgesehen von den hochherrschaftlichen Räumen des Dukes, versteht sich.“
„Such dir einfach ein Gästezimmer aus. Wenn du magst, gern auch die Mastersuite“, sagte er grimmig.
„Nur weil wir uns mal geküsst haben, bedeutet das nicht, dass ich auch das Bett mit dir teile!“
„Ich habe nicht vor, zu irgendeinem Zeitpunkt in die Nähe dieser Suite zu kommen“, versicherte Lucan ihr und klang dabei recht überzeugend. „Ganz gleich, ob du darin schläfst oder nicht.“
„Warum nicht?“
Wortlos drehte er sich von ihr weg. „Hör endlich auf, mich ständig mit Fragen zu löchern, Lexie!“, verlangte er schließlich. „Geh einfach zu Bett!“
Genau das hätte sie tun sollen. Genau das wäre am vernünftigsten gewesen, nachdem die Emotionen zwischen ihnen derart hochgekocht waren. Nur verhielt Lexie sich in Gegenwart dieses Mannes weder vernünftig noch überlegt. Stattdessen handelte sie spontan, impulsiv und hochgradig verrückt!
„Du benutzt deinen Titel nicht. Ganz offensichtlich kommst du nur höchst ungern her. Nicht einmal, wenn es zwingend notwendig ist, um dieses Gemäuer zu erhalten.“
„Sollen deine Überlegungen auf irgendetwas Bestimmtes hinauslaufen?“, fragte er scheinbar gelangweilt.
Lexie zuckte die Achseln. „Nun, es ist doch ein wunderschönes Haus.“
„Es ist ein verdammtes Mausoleum!“, brauste er plötzlich auf.
„Dann ändere das!“
„Bitte? Selbst mit anderen Farben und Möbeln wird Mulberry Hall zu keinem Ort, an dem ich mich je wohlfühlen werde. Wenn ich könnte, würde ich es dem Erdboden gleichmachen und Gras darüberwachsen lassen.“
„Das kann ich echt nicht verstehen.“
„Brauchst du auch nicht“, zischte Lucan. „Ein paar belanglose Küsse berechtigen dich noch lange nicht dazu, in meinem Leben herumzuschnüffeln.“
Noch nie hatte Lucan seine Gefühle oder Absichten mit einem anderen Menschen besprochen, sondern immer alles im Stillen mit sich selbst abgemacht. Nicht einmal seine beiden Brüder weihte er in seine intimen Gedanken ein, obwohl Jordan und Gideon ihm schon näherstanden als irgendjemand sonst.
Ganz sicher würde er nicht ausgerechnet Lexie ins Vertrauen ziehen, um sich dann ihr amateurhaftes Psychologengebrabbel anzuhören. Er wusste schließlich bereits, dass er unter Verlustängsten litt und beziehungsgeschädigt war, nachdem sein Vater die Familie für eine andere Frau verlassen hatte.
„Geh einfach schlafen, Lexie!“, wiederholte Lucan mit einem tiefen Seufzer. „Ich räume allein hier auf.“
Das ließ Lexie sich nicht zweimal sagen. Sein düsterer Gesichtsausdruck hätte schon
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