Das Geheimnis von Mulberry Hall
Lexie.
„Wie unpraktisch für dich“, bemerkte Lucan spöttisch.
„Geht so.“
Was er wohl dazu sagen würde, dass sie kaum körperliche Erfahrungen mit Männern gemacht hatte? Bis auf ein paar Fummeleien bei ihren gelegentlichen Verabredungen hatte Lexie diesbezüglich nicht viel erlebt. Und so etwas wie gestern Abend war schon gar nicht vorgekommen!
„Ich frage mich, wer diese Menschen hier sind.“ Mit einer Hand wies sie auf weitere Gemälde.
Lucan war nicht entgangen, wie intensiv Lexie ihn wenige Sekunden zuvor betrachtet hatte. Mit Verlangen in ihren Augen. Mit Lust – auf ihn. Und dann konnte man sehen, wie ihr Verstand gegen diese Empfindungen ankämpfte.
Auch er fand es im höchsten Maße unvernünftig, Lexie Hamilton körperlich zu begehren, und doch konnte er nichts dagegen unternehmen. Und das, obwohl sie so gar nicht in sein übliches Beuteschema passte.
Sie schien grundsätzlich auszusprechen, was ihr gerade in den Sinn kam, selbst wenn das Gesagte ziemlich unpassend war. Und sie bohrte in Lucans emotionalen Wunden herum, die er bisher vor jedermann verborgen und geschützt hatte. Am schlimmsten war, dass ihre lustvollen Laute, ihr Stöhnen, ihr Keuchen, absolut echt und spontan über Lexies wundervolle Lippen gekommen waren. Sie spielte ihm nichts vor, sie verstellte sich nicht, sondern gab sich aufrichtig und intensiv hin … unwiderstehlich.
Dieses Verhalten konnte für einen Mann, der sich bisher nie für die Gefühle seiner Partnerinnen interessiert hatte, ausgesprochen gefährlich werden. Es lud ihm eine unwillkommene Verantwortung auf. Lexie Hamilton war zwar impulsiv, aber auch ehrlicher als die abgebrühten Frauen, mit denen er es sonst zu tun hatte.
„Der Mann in der Mitte auf diesem Gruppenbild ist Hawk“, begann Lucan mit seiner Erklärung. „Der zehnte Duke von Stourbridge. Die anderen drei sind seine Geschwister Sebastian, Lucian und Arabella.“
„Ist dein Name eine Abwandlung von Lucian?“, erkundigte Lexie sich.
„Wahrscheinlich“, antwortete er steif. „Gideons Name taucht ebenfalls ziemlich häufig in unserer Familienchronik auf.“
Alexander, das wusste Lexie, war ebenfalls ein beliebter Name in der Familie St. Claire. Auch Lucans Ururgroßvater hatte ihn getragen.
„Ich glaube“, fuhr er unbeteiligt fort, „der Name Gideon tauchte zum ersten Mal auf, als Arabella ihren ersten Sohn so nannte – zu Ehren des Mannes, der einst ihr Leben rettete.“
„Wie hat er das getan?“, hakte Lexie eifrig nach.
„Keine Ahnung.“ Mit ausdrucksloser Miene hob er die Schultern. „Ich glaube, wir sollten wieder runtergehen. Der Handwerker müsste jeden Moment kommen.“
„Okay.“ Hinter seinem Rücken schnitt Lexie eine Grimasse. Sie war enttäuscht darüber, dass Lucan ihr die spannende Geschichte vorenthielt, wie Lady Arabellas Leben gerettet worden war. Die Frau wirkte auf dem Gemälde sehr lebhaft und klug. „Kann ich einen Spaziergang über das Anwesen machen, solange du dich mit dem Handwerker besprichst?“
Ihr Ton klang beiläufig, dabei klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Schließlich wollte sie diesen kleinen Ausflug nutzen, um ihrer Großmutter einen Besuch im Cottage abzustatten. Außerdem fuhren sie bestimmt zurück nach London, sobald Lucan einen Reparaturauftrag erteilt hatte. Nach dem Vorfall gestern Abend legte er es sicherlich nicht darauf an, noch eine Nacht mit ihr unter einem Dach zu verbringen.
„Es soll schneien“, warnte Lucan sie vor.
Neckisch zwinkerte sie ihm zu. „Woher weißt du das?“
„Ich weiß es, weil ich im Gegensatz zu dir den Wetterbericht im Radio höre“, sagte er trocken.
„Es gibt keinen Grund, gleich pampig zu werden“, konterte sie spitz.
„Ich werde doch gar nicht …“ Lucan unterbrach sich, als ihm klar wurde, wie albern ihr Gespräch war. „Also, wenn du mich aus dem Konzept bringen willst, ist dir das gelungen“, brummte er und sah ihr direkt in die Augen. Er wollte sichergehen, dass sie nur mit ihm scherzte. „Du machst dich gern über mich lustig, was?“
„Ich liebe es“, gab sie ohne Umschweife zu.
„Weil ich ein selbstherrlicher, unerträglich aufgeblasener, widerwärtiger Mistkerl bin?“, fragte er tonlos.
Ihre Wangen wurden ganz heiß, als ihr einfiel, was sie ihm alles an den Kopf geschleudert hatte. „Du erinnerst dich an jedes einzelne Wort?“
„Sicher erinnere ich mich an jedes einzelne Wort!“ Er lachte leise. „Ein recht einzigartiger Vortrag, den du mir da gehalten
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