Das Geheimnis von Mulberry Hall
einfach nur kalt“, versuchte Lexie sich rauszureden, obwohl das selbst für ihr eigenes Empfinden reichlich albern klang. „Hör mal, Lucan“, setzte sie erneut an, „es gibt bestimmt eine Menge Frauen, die sich gern vorübergehend mit dem Duke von Stourbridge vergnügen würden. Ich bin nur leider keine von denen.“
Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und er stieß sich abrupt vom Küchenschrank ab. „Ich habe mit keinem Wort meinen Titel als Duke von Stourbridge erwähnt“, sagte er kalt.
Es ist mir schon wieder passiert, ärgerte Lexie sich im Stillen. Das lag ausschließlich daran, wie er mit ihr umsprang. Sie war auf alles gefasst gewesen, aber nicht auf einen unwiderstehlichen Annäherungsversuch!
Ihr Verstand sagte Nein, doch ihre Sinne waren da gänzlich anderer Meinung.
Das Atmen fiel ihr zunehmend schwerer. „John Barton hat es vorhin erwähnt.“ Das war zumindest nicht ganz unwahrscheinlich, oder?
„Ich ziehe es vor, diesen Titel nicht zu verwenden“, erklärte Lucan steif und schob die Hände in die Hosentaschen.
„Wieso nicht? Denk doch mal an all die vielen Frauen, die dann deswegen hinter dir her wären!“
Ihr Spott traf offenbar einen Nerv. „Ich sagte, ich will ihn nicht verwenden“, herrschte er Lexie an.
„Und ich fragte, wieso nicht?“, gab sie ebenso laut zurück.
Lucan zögerte kurz. „Das ist eine lange Geschichte.“
„Mir reicht die Kurzversion.“
Seine Nasenflügel zitterten leicht. Es schien ihm außerordentlich schwerzufallen, seine Gedanken in Richtung Vergangenheit zu lenken. „Eine Kurzversion gibt es nicht.“
„Ach, komm schon, Lucan!“, drängte Lexie.
„Lass mich einfach in Ruhe und hör auf damit, ja?“, brauste er plötzlich auf.
Für Lexie war es offensichtlich, dass sie auf diesem Wege keinen Schritt weiter kommen würde. „Ich … okay, schon gut.“ Sie wandte sich ab. „Sollen wir jetzt mal mit dem Essen anfangen?“
Lucan atmete ein paarmal tief durch, bevor er sich zu ihr an den Tisch gesellte. Die Erinnerungen daran, wer er eigentlich war und was er hier auf Mulberry Hall tat, hatten auf ihn wie eine kalte Dusche gewirkt. Daheim in London vergaß er völlig, dass es diesen ungeliebten Adelstitel überhaupt gab.
Verdammt, er hätte so kurz nach Jordans und Stephanies Hochzeit nicht wieder herkommen sollen. Bestimmt hätte es eine andere Möglichkeit für John Barton gegeben, mit dem Schaden am Haus fertigzuwerden. Also warum hatte er sich so leicht überreden lassen?
Weil ihm die Aussicht, für ein paar Tage mit der hübschen, vorlauten Lexie allein zu sein, äußerst reizvoll erschienen war. Dieses Abenteuer schlug eine Seite seiner Persönlichkeit an, die er für gewöhnlich streng unter Verschluss hielt. Eine extrem sinnliche Seite, die ihn zu stark an seinen Vater erinnerte und daran, welchen Kummer dieser Mann seiner Frau und seinen Söhnen zugefügt hatte.
Schon damals hatte sich Lucan eines geschworen: Keine Frau würde ihn jemals so um den Finger wickeln, wie dieses Weib es mit seinem Vater getan hatte. Lucan wollte niemanden so sehr begehren und lieben, dass er darüber anderen Menschen ungeheure Schmerzen verursachte.
„Lucan?“
Verstört blickte er hoch, starrte den Braten auf dem Tisch an und schüttelte dann den Kopf. „Ich glaube, ich habe doch keinen Hunger.“
Lexie runzelte die Stirn. „Soweit ich weiß, hast du den ganzen Tag noch nichts gegessen.“
„Und das stört dich, weil …“, begann er provozierend und brach ab.
„Es stört mich natürlich nicht direkt.“
„Na also. Dachte ich es mir doch.“ Seine Stimme troff vor Ironie, und Lexie stieß einen ungeduldigen Seufzer aus.
Auf Männer, die wegen ihrer ungelösten Probleme unhöflich oder bissig wurden, konnte sie gut und gern verzichten. „Die Bartons wussten ja nicht einmal, dass ich mitkommen würde, demnach hat Cathy das ganze Essen allein für dich zubereitet.“
„Willst du mir Schuldgefühle einreden, damit ich esse?“, wollte Lucan wissen.
Allmählich färbten sich ihre Wangen dunkler. „Jetzt hör endlich auf, so kindisch zu sein!“
Normalerweise verhielt Lucan sich auch emotional logisch und konzentriert. Vielleicht zu übertrieben, denn nun brach der Damm. Es war ihm nicht möglich, die Wut und Verzweiflung in seinem Innern zu zügeln. Er sprang auf, war mit zwei Schritten bei Lexie und riss sie an den Schultern von ihrem Stuhl hoch. Sprachlos und stocksteif stand sie da, während er mit einer Hand ihre
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