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Das Geheimnis von Sittaford

Das Geheimnis von Sittaford

Titel: Das Geheimnis von Sittaford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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nach nicht. Jedoch…»
    «Haiti», rief Charles plötzlich und hob warnend die Hand. Er rannte zum Fenster, riss es auf, und herein drang das ferne Dröhnen einer großen Glocke. Von unten herauf schrie aufgeregt Mrs Curtis:
    «Hören Sie es, Miss? Hören Sie es?»
    Emily öffnete die Tür.
    «Was bedeutet das Läuten denn?»
    «Es ist die Glocke vom Princetown-Zuchthaus – zwanzig Kilometer von hier. Ihr Läuten zeigt an, dass ein Sträfling geflohen ist. Mein Gott, mein Gott, auch das noch…! George, George! Wo steckst du denn, Mann? Hörst du nicht die Glocke? Ein Sträfling ist entkommen.»
    Die Stimme der aufgeregten Frau wurde schwächer, da sie, auf der Suche nach ihrem Mann, sich in Richtung Küche entfernte.
    Charles Enderby schloss das Fenster und kehrte zu seinem Bettplatz zurück.
    «Zu dumm, dass alles immer zur Unzeit geschieht», sagte er gelassen. «Wenn dieser Sträfling am Freitag das Weite gesucht hätte, so wären wir jetzt um eine Erklärung des Mordes nicht verlegen: Ein hungriger, verzweifelter Verbrecher versucht bei Trevelyan einzubrechen; dieser aber verteidigt seine Trutzburg, woraufhin der verzweifelte Verbrecher ihm eins über den Schädel haut. Fertig – Schluss! Schlicht und einfach.»
    «Ja», sagte Emily mit einem Seufzer.
    «Statt dessen? Entwischt er drei Tage zu spät. Es ist… es ist trostlos stümperhaft.»
    Traurig schüttelte er den Kopf.

16
     
    A m nächsten Morgen erwachte Emily schon frühzeitig, und da sie ein sehr vernünftiges Wesen war, sagte sie sich, dass für die nächsten zwei oder drei Stunden sicherlich noch nicht auf Mr Enderbys Mitarbeit zu zählen sein würde.
    Unfähig jedoch, noch länger liegen zu bleiben, entschloss sie sich zu einem kleinen Spaziergang.
    Sie ging in entgegengesetzter Richtung wie gestern an den schmiedeeisernen Einfahrtstoren von Sittaford House vorbei. Bald darauf bog der Feldweg scharf nach rechts ab, stieg einen steilen Hügel empor und mündete oben in unüberschaubares Heidegelände, wo er sich zu einem unscheinbaren Pfad verengte und bald überhaupt aufhörte. Emily kletterte bis zur Spitze des Sittafordfelsens hinauf, eines grauen Granitungetüms von phantastischer Form. Von dieser Höhe blickte sie hinab auf die endlose Heide, bar jeder menschlichen Behausung und bar jeden Wegs.
    Nachdem Emily dieses Bild einige Minuten auf sich hatte wirken lassen, wandte sie sich Richtung Norden, woher sie gekommen war. Gerade unter ihr schmiegte sich Sittaford an die Flanke des Hügels, der viereckige Block von Sittaford House und jenseits davon die Cottages.
    Tief unten im Tal lagen die Häuser von Exhampton. «Man sieht alles besser, wenn man über den Dingen steht», murmelte Emily. «Als ob man das Dach eines Puppenhauses abhebt und hineinschaut…»
    Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als dass sie dem Ermordeten bereits früher begegnet wäre – wenn auch nur ein einziges Mal. Es war so schwer, sich von einem gänzlich Unbekannten ein Bild zu machen. Man war angewiesen auf das Urteil anderer, und bisher hatte Emily noch niemals anerkannt, dass das Urteil anderer treffender sein könnte als ihr eigenes. Jedenfalls vermochte man mit den Eindrücken der lieben Nächsten nichts anzufangen, weil der Blickwinkel der anderen nicht für die eigene Person taugte.
    Ganz und gar in ihre Gedanken versunken, hatte Emily Trefusis ihrer unmittelbaren Umgebung keine Aufmerksamkeit geschenkt, und so zuckte sie ein wenig erschrocken zusammen, als sie den kleinen, älteren Herrn gewahrte, der – den Hut höflich in der Hand haltend – wenige Schritte von ihr entfernt stand.
    «Entschuldigen Sie», sagte er, «Miss Trefusis, nicht wahr?»
    «Ja.»
    «Mein Name ist Rycroft», fuhr er, ein bisschen außer Atem, fort. «Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich Sie anspreche; aber in unserer kleinen Gemeinde wurde Ihre gestrige Ankunft schnell allgemein bekannt. Ich kann Ihnen versichern, Miss Trefusis, dass jeder von uns Ihnen wärmstes Mitgefühl entgegenbringt und Ihnen nach Kräften beistehen möchte.»
    «Das ist sehr freundlich.»
    «Keineswegs», wehrte Mr Rycroft ab. «Die Schönheit, von Kummer heimgesucht… Sie werden mir nicht zürnen, wenn ich es in dieser altmodischen Weise ausdrücke. Aber ernsthaft gesprochen, mein liebes, junges Fräulein, verfügen Sie ganz über mich… Prächtiger Blick von hier oben, nicht wahr?»
    «Ja, wundervoll. Ich hätte nicht gedacht, dass Dartmoor so schön sein könnte.»
    «Wissen Sie, dass aus Princetown

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