Das Geheimnis von Sittaford
ihn heranträte, leicht auf Abwege geraten könnte. Aber Mord – nein, das nicht! Sie dürfen sich auf meine Menschenkenntnis verlassen, Miss Trefusis, die ich mir im Laufe einer langen Dienstzeit, als Hunderte von Untergebenen durch meine Hände gingen, erwarb. Und wenn man heutzutage auch gern den alten Offizieren am Zeug flickt – die Tatsache lässt sich nicht leugnen, dass wir in manchen Dingen doch bewandert sind.»
«Zweifellos. Und ich weiß, dass Sie James richtig beurteilen.»
«Ein Whiskysoda? Was Besseres habe ich nicht anzubieten», fügte der Major entschuldigend hinzu.
«Nein. Danke.»
«Vielleicht ein Glas Selterswasser?»
«Danke vielmals.»
«Ob es mir gelingen wird, einen trinkbaren Tee zuzubereiten…?», meinte der alte Herr trübselig.
«Wir haben bereits bei Mrs Curtis Tee getrunken», gab Charles Enderby zur Antwort.
«Major Burnaby, wer hat Ihrer Meinung nach das Verbrechen begangen?»
«Der Teufel soll mich holen, wenn ich die geringste Ahnung habe», erwiderte Burnaby. «Ich nahm als sicher an, dass irgendein Strolch bei Trevelyan eingedrungen sei, aber die Polizei behauptet, dass verschiedene Anzeichen diese Theorie widerlegten. Nun, und sie muss ja ihr Handwerk verstehen. Für mich allerdings wird die Sache dadurch noch verworrener, da Trevelyan keine Feinde hatte.»
«Und sonst, Major?»
«Ich weiß, was Sie denken.» Major Burnaby zupfte an seinem kurz geschnittenen Schnurrbart. «Wie in den Büchern soll irgendein kleines Ereignis aus der Vergangenheit hinüberspielen in das Heute. Aber es tut mir Leid – so ein Ereignis gibt es nicht. Mein Freund Trevelyan hat ein sehr alltägliches Leben geführt. Nichts von Verwicklungen, nichts von einer Herzensaffäre.»
Alle drei blickten eine Weile schweigend vor sich hin.
«Und der Diener?» fragte endlich Enderby.
«Durch Jahre erprobt. Durchaus treu und zuverlässig.»
«Major Burnaby» – mit einem plötzlichen Entschluss hob Emily den Kopf –, «verzeihen Sie, wenn ich mich jetzt einer etwas derben Redeweise bediene: Haben Sie nicht von dem Unheil auf etwas merkwürdige Art Wind bekommen?»
Der Major rieb seinen Nasenrücken, um die Verlegenheit zu verbergen, deren Opfer er jedes Mal wurde, wenn man das Tischrücken erwähnte.
«Ja, ich kann’s nicht abstreiten. Und obwohl ich wusste, dass das Ganze Unsinn war…»
«… sagte Ihnen ein Gefühl, dass doch etwas dahinter steckte», ergänzte Emily, als er ungeschickt nach Worten suchte.
Burnaby nickte.
«Und deshalb überlege ich, ob…» Doch auch Emily Trefusis vollendete ihren Satz nicht, so dass beide Männer sie fragend anblickten. «Es ist nicht so leicht, meinen Gedankengang wiederzugeben», entschuldigte sie sich. «Sie sagen, Major Burnaby, dass Sie dieses Tischrücken als Unsinn betrachten; und trotzdem sind Sie, ungeachtet des schrecklichen Wetters und ungeachtet Ihres Unglaubens an Geisterbotschaften, aufgebrochen, um sich mit eigenen Augen von Captain Trevelyans Wohlergehen zu überzeugen. Warum, Major? Meinen Sie nicht, dass der tiefere Grund darin zu suchen ist, dass… dass ein gewisses Etwas in der Atmosphäre lag…? Ich will damit sagen», fuhr sie verzweifelt fort, da sie auch nicht eine Spur von Verständnis auf dem Gesicht Burnabys entdeckte, «dass noch ein anderes Hirn in dieser Richtung arbeitete und dass Sie es fühlten.»
«Das ist mir zu hoch!», knurrte der Major und rieb sich von neuem die Nase. «Freilich, Frauen nehmen solche Dinge ernst.»
«Frauen…», wiederholte Emily gedehnt. Und jählings überfiel sie den Hausherrn mit der Frage: «Was sind das für Menschen, diese Willetts?»
«Oh… hm… sehr liebenswürdig. Sehr… ja, wie soll ich sagen?», wand er sich. «Sehr entgegenkommend – na ja, Sie wissen schon.»
«Warum mieten sie zu dieser Jahreszeit ein Haus in Sittaford?»
«Warum? Weiberlaune.»
«Finden Sie es nicht merkwürdig?», beharrte Emily.
«Natürlich. Jedoch lässt sich – wie Inspektor Narracott meinte – über Geschmack nicht streiten.»
«Wie verhielt sich diese Mrs Willett Captain Trevelyan gegenüber? Mied sie ihn?»
«Weiß Gott, das kann man ihr nicht vorwerfen!», entgegnete der Major mit einem leisen Schmunzeln. «Nein, wirklich nicht. Geplagt hat sie ihn durch ihr fortgesetztes Drängen, sie zu besuchen.»
«So…» Grübelnd spielte die hartnäckige Fragerin mit ihren Handschuhen. «Dann hat sie möglicherweise das Haus eigens zu dem Zweck gemietet, eine Bekanntschaft mit Ihrem toten
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