Das Geheimnis von Sittaford
dann das tragische Ende Captain Trevelyans.»
«Durchaus verständlich.»
Geschickt und ohne dass es die andere bemerkte, legte Emily ihre Handschuhe auf einen kleinen Tisch, ließ sich zur Haustür begleiten und verabschiedete sich mit ein paar weiteren höflichen Redensarten. Violet schloss die Tür, versäumte jedoch, den Schlüssel im Schloss herumzudrehen.
Und daher ging Miss Trefusis, als sie das Eisentor erreicht hatte, langsam den Weg, den sie gekommen war, wieder zurück. Durch ihren Besuch war sie in dem Misstrauen, das sie gegen die Willetts hegte, bestärkt worden. Violet machte zwar nicht den Eindruck einer Verbrecherin, doch irgendetwas stimmte nicht. Jenes Etwas aber musste das Bindeglied zwischen den beiden Frauen und Captain Trevelyan sein, und darin wiederum konnte der Schlüssel zu dem ganzen Rätsel liegen.
An der Haustür angelangt, drückte Miss Trefusis behutsam die Klinke herunter und ging hinein. Die Halle war menschenleer. Was nun? Während sie noch unschlüssig dastand, drang vom oberen Stockwerk ein schwaches Stimmengemurmel herab. Lautlos schlich sie zur Treppe. Wieder ein forschender Blick nach allen Seiten… Gewiss, die Handschuhe waren ein triftiger Grund für die Rückkehr, doch unmöglich konnte man behaupten, dass sie aus eigener Kraft plötzlich treppauf gewandert waren.
Abermals das Stimmengemurmel. Da wurden alle Überlegungen von dem brennenden Wunsch in den Hintergrund gedrängt, etwas von der oben geführten Unterhaltung zu erlauschen. Vorsichtig eine Stufe… noch eine… und noch eine… Zwei Frauenstimmen. Violet und – zweifellos – ihre Mutter.
Dann Schweigen. Schritte wurden hörbar. Blitzschnell jagte Emily Trefusis wieder treppab, und als Violet die Schlafzimmertür öffnete und hinabkam, war sie überrascht, den Besuch, den sie kurz zuvor an die Tür begleitet hatte, in der Halle stehen zu sehen.
«Meine Handschuhe», erklärte Emily, wie ein verlaufener Hund hin und her spähend. «Ich muss sie irgendwo liegen gelassen haben.»
«Vermutlich im Wohnzimmer», meinte Violet.
Wirklich lagen sie dort, ganz verwaist auf einem kleinen Tischchen.
«Ich bin grässlich vergesslich, Miss Willett.»
«Und bei dem Wetter braucht man seine Handschuhe.»
Wieder gingen sie gemeinsam bis zur Haustür, und diesmal hörte Emily, wie sich der Schlüssel zweimal im Schloss drehte. Nachdenklich schritt sie den Fahrweg hinab. Wie hatten doch die Worte gelautet, die – gequält und klagend – an ihr Ohr gedrungen waren? «Mein Gott, ich kann es nicht ertragen! Wird es denn nie Nacht werden…?»
19
A ls Emily in ihr Quartier zurückkehrte, wo sie Enderby zu finden hoffte, wurde ihr von Mrs Curtis mitgeteilt, dass er mit mehreren anderen jungen Herren fortgegangen sei und dass man von der Poststelle zwei Telegramme für sie herübergeschickt habe.
Emily nahm sie in Empfang, öffnete sie und steckte sie wortlos in ihre Tasche.
«Nichts Schlechtes hoffentlich?» fragte Mrs Curtis, zitternd vor Neugier.
«Nein.»
«Ein Telegramm jagt mir immer einen Schrecken ein. Ihnen nicht?»
Doch Miss Trefusis war im Augenblick jeder Unterhaltung abgeneigt. Sie brauchte Ruhe und Einsamkeit, um ihre Gedanken zu ordnen, und ging hinauf in ihr kleines Zimmer. Dort begann sie mittels Bleistift und Papier ein eigenes System auszuarbeiten. Nach zwanzig Minuten wurde sie dabei jedoch von Mr Charles Enderby unterbrochen.
«Hallo, hallo, da sind Sie ja! Die gesamte Londoner Presse jagt hinter Ihnen her – bislang allerdings erfolglos. Außerdem habe ich meinen lieben Kollegen klargemacht, dass man Sie nicht belästigen darf. Ja, verehrte Kusine, an Ihre Person lasse ich keinen ‘ran.» Er nahm, da Emily das Bett mit Beschlag belegt hatte, mit dem Stuhl vorlieb. «Haben Sie übrigens den Nebel bemerkt?»
«Ja. Doch werde ich mich durch ihn nicht abhalten lassen, nach Exeter zu fahren.»
«Was wollen Sie dort?»
«Mein Rechtsanwalt, Mr Dacres, wünscht mich zu sprechen. Und wenn ich schon einmal da bin, möchte ich James’ Tante Jenny aufsuchen. Schließlich braucht man von dort nach Exhampton nur eine halbe Stunde.»
«Das heißt: Diese Tante Jenny könnte mit der Bahn rasch herübergefahren sein und ihrem Bruder den Schädel eingeschlagen haben, ohne dass jemand von dieser Reise erfuhr.»
«Ich weiß, es klingt sehr unwahrscheinlich, Charles. Überdies wünsche ich mir auch gar nicht, dass Tante Jenny das Verbrechen begangen hätte – weit eher Martin Dering. Ich hasse diesen
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