Das Geheimnis von Turtle Bay
Wort, „war nicht meine Schuld!“
Sie verschränkte die Hände ineinander und versuchte die richtigen Worte zu finden, damit der Schmerz aufhörte. „Ich dachte, wenn ich meine beiden Jungs habe, wird alles besser. Aber das ist nicht der Fall. Ich möchte gerne etwas mit ihnen unternehmen, doch sie sind so laut und so ungestüm, und sie wollen schwimmen und schnorcheln. Du weißt ja, wohin das führt. Aber ich wollte Daria an diesem letzten Tag nicht anbrüllen und schlagen …“
Diese Worte, die sie gar nicht hatte aussprechen wollen, blieben ihr fast im Hals stecken. Tat es ihr leid? Ihre Schuldgefühle machten sie buchstäblich krank – musste das dann nicht bedeuten, dass es ihr leidtat? Aber wenigstens würden sie und Bree sich nun näherkommen. Vorausgesetzt, Bree kam jemals über Darias Verlust hinweg.
Es begann zu schütten. Die Haare klebten ihr am Kopf, der Regen lief ihr in den Nacken. Nach Brees Schilderung schwebten Darias Haare im Wasser, in dem Wasser, das sie und das Boot in die Tiefe gezogen hatte, sodass sie ertrank …
Amelia kniff die Augen fest zu, doch das Bild wollte nicht verschwinden, das sie selbst unter Wasser zeigte. Es war wie in diesem Albtraum, den sie seit Mommys Tod immer wieder hatte und der schlimmer wurde, wenn Dad mit den Zwillingen tauchen ging. Zitternd zwang sie sich, die Augen zu öffnen. Tränen, Regen, tiefes Wasser, sogar Blut – es war alles dasselbe.
„Es tut mir leid, Mommy. Es tut mir wirklich leid …“ , wisperte sie.
Als sie in der Ferne Donnergrollen hörte, wusste sie, sie sollte sich besser auf den Weg machen. Donner bedeutete Blitze, und sie wollte nicht so wie Bree im Krankenhaus landen oder sogar ein schlimmeres Schicksal erleiden.
Diese Angst war ganz sicher eine rationale Angst. Das bedeutete, sie verarbeitete die Ereignisse, aber sie war nicht depressiv, nicht wahr?
„Es hätte schlimmer kommen können“ , sagte sie sich und stand auf. „Bree könnte jetzt auch tot sein.“
Sie beugte sich nach vorn und strich über den nassen, grauen Marmorgrabstein ihrer Mutter, doch den ihres Vaters konnte sie nicht berühren.
Bree fuhr auf dem Tamiami Trail nach Süden und kämpfte sich durch Regen und Sturm, bis sie den Abzweig Richtung Cypress Road erreichte, wo sie nach Osten in Richtung Everglades abbiegen musste. An der Kreuzung gab es einen kleinen Flughafen mit ein paar Maschinen, die in der Nähe des einzigen Hangars abgestellt waren.
Da ihr eine ganze Reihe von Fahrzeugen entgegenkam, musste sie warten. Obwohl die meisten Leute inzwischen die Alligator Alley benutzten, um den Bundesstaat zu durchqueren und nach Fort Lauderdale oder Miami zu gelangen, war auf dieser älteren Verbindung zwischen Tampa und Miami immer noch viel Verkehr.
Sie sah hinüber zum Rollfeld und entdeckte einen Mann, der trotz des Regens an einer der Maschinen arbeitete. Wenn das Gator Watering Hole nicht allzu weit von hier entfernt war, dann konnte es durchaus sein, dass Piloten dort auf ein paar Drinks einkehrten. Das war ein ganz und gar erschreckender Gedanke.
Nachdem sie abgebogen war, hörte sie nassen Kies unter den Reifen knirschen. Sie fuhr langsam auf der Straße entlang, die man nur mit viel Fantasie als zweispurig bezeichnen konnte. Das hier war das Randgebiet der Everglades, wo das Gras zu beiden Seiten des Weges von flachen Gewässern umgeben war und Zypressen mit ihren knorrigen Stämmen standen. Sie fuhr an leicht erhöht gelegenen, Hammocks genannten Inseln vorbei, auf denen Kiefern und Palmen wuchsen. Die Vegetation war in diesem schwülen Klima so dicht, dass es Bree vorkam, als würde sie über den Meeresgrund fahren.
Unwillkürlich fragte sie sich, wie es wohl ihrem kostbaren Schildkrötengras am Frachterwrack erging. Das Gras musste wieder geprüft und fotografiert werden, doch wer würde von nun an mit ihr tauchen? Nächste Woche musste sie den Bericht zum Zustand der Seegraswiese vorlegen, der ein Donnerwetter auslösen würde. Sie schniefte und zog ein Taschentuch aus ihrer Handtasche, um sich die Nase zu schneuzen.
Manny konnte zwar gut mit Motoren und Maschinen umgehen, und er war in der Lage, technische Schwierigkeiten zu überwinden, doch er würde niemals ihr neuer Tauchpartner werden. Wenn er nicht bis hinunter zum Meeresgrund klare Sicht hatte, würde er nicht tauchen. Sie würde jemand anheuern müssen, der mit ihr tauchte. Besser gesagt: Sie und Manny würden das machen müssen. Und dabei konnte sie sich nicht vorstellen, wie es
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