Das Geheimnis von Turtle Bay
trommelte, doch davon abgesehen herrschte Stille. Die Beleuchtung war schummrig, es lief kein Fernseher und kein Radio. Es kam Bree vor, als habe sie eine Reise in die Vergangenheit unternommen. Eine alte Jukebox blockierte den Eingang zur Hälfte, schlichte, wahllos zusammengewürfelte Stühle und Tische säumten die Wände der kleinen Kneipe, an der langen Theke standen einige Rattanhocker, eine Ecke wurde von einem abgewetzten Pooltisch in Beschlag genommen.
Die Kundschaft machte wie von ihr erhofft einen harmlosen Eindruck. Zwei Kerle, die aus den tiefsten Glades zu stammen schienen, spielten Tischfußball, ein Mann saß über seinen Tisch gebeugt und schien zu schlafen. Die Frau war nirgends zu sehen. Durch eine kleine Durchreiche hinter der Theke drang der Geruch von gebratenen Hamburgern. An den Wänden hingen nicht die sonst üblichen Leuchtreklamen verschiedener Biersorten, sondern Football-Wimpel der Florida State Seminoles und der Miami University Canes, außerdem Vergrößerungen der beiden Stadien.
Mindestens zehn Alligatorschädel mit weit aufgerissenem Maul hingen an allen vier Wänden verteilt und schienen sie hämisch anzugrinsen.
Plötzlich unterbrachen die zwei Männer ihre Partie, hörten auf zu reden und schauten zu ihr. Das einzige Geräusch war jetzt das Prasseln der Regentropfen auf dem Blechdach, untermalt vom Rascheln der Palmwedel.
Und wieder geht’s los, dachte sie. Sie halten mich für einen Geist. Ihr Herz schien auszusetzen. Die Reaktionen machten eines klar: Daria war hier gewesen.
„Das ist aber nicht deine übliche Zeit, Honey“ , sagte der Barkeeper zu ihr, ein großer, hagerer Mann. „Was soll’s sein? Das Übliche?“
Hatte hier noch niemand mitbekommen, dass Daria tot war? Ja, das war durchaus möglich. Die Leute aus den Glades interessierten sich nicht so wie die Taucher dafür, was sich im und am Wasser abspielte. In diesem Fall hielten sie sich nicht für einen Geist, sondern für die echte Daria.
„Klar“ , antwortete sie und beschloss, Daria zu spielen, wenn sie so an mehr Informationen gelangte als mit ihrem ursprünglichen Plan. „Ich musste meinen Zeitplan ein bisschen umstellen.“ Sie suchte in ihrer Handtasche nach ein paar Geldscheinen. Die beiden Männer widmeten sich wieder ihrem Spiel und setzten ihre Unterhaltung fort. „Für wann hattest du mich denn erwartet?“
„Nächsten Dienstag, so wie immer“ , murmelte der Barkeeper und stellte ihr ein altmodisches großes Cola-Glas hin.
Bree bekam große Augen, als sie sah, dass er es halb mit Limonade und halb mit Bier füllte. Daria liebte diese Mixgetränke, seit sie eine Zeit lang mit einem Typen aus Toronto zusammen gewesen war.
„Okay, dann ist das für hier, und die zwei Flaschen zum Mitnehmen“ , redete er weiter und grinste sie so an, dass sie sehen konnte, ihm fehlten zwei Schneidezähne. „Oder für den Kerl, mit dem du dich draußen triffst. So wie immer.“
Brees Puls pochte laut in ihren Ohren, als er zwei Flaschen Mountain Brewed auf die Theke stellte. „Erzähl mir doch noch mal, wie der Kerl aussieht.“ Sie versuchte schüchtern zu klingen, während sie einige Scheine neben ihr Glas legte. „Könnte sein, dass ich den falschen Kerl in Erinnerung habe.“
„Hab ihn noch nie gesehen, wie du weißt, aber Bess hier“ – mit einer Kopfbewegung deutete er auf die Küche – „oder vielleicht auch ein kleines Vögelchen hat mir erzählt, dass er groß und stark ist und dunkle Haare hat. Aber du weißt ja, nach welchem Prinzip es hier läuft: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Aber sag mal, wollt ihr zwei bei dem Wetter wirklich in den Glades parken? Draußen ist es ja schon jetzt fast stockfinster“ , meinte er lachend.
Bree wurde klar, dass sie einen Fehler begangen hatte. Wenn sie ihm jetzt erklärte, wer sie wirklich war, und Fragen zu stellen begann, könnte er womöglich sauer werden. Solange sie sich aber als ihre Schwester ausgab, konnte sie ihn nicht weiter über den Mann ausfragen, mit dem sie sich angeblich traf. Groß und stark, dazu dunkelhaarig? Jemand, der Daria „Babe“ nannte und Mountain Brewed Beer trank? Und jemand, der nicht selbst in die Kneipe kam, um die Flaschen zu holen?
Sie trank ihr Glas zur Hälfte aus, weil sie auf einmal schrecklich durstig war, den Rest verschüttete sie, weil sie vor Schreck zusammenzuckte, als ein Donnerschlag die Kneipe erzittern ließ und in ihrem Kopf ohrenbetäubend laut nachhallte. Sie musste von hier
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