Das Geheimnis von Turtle Bay
Personen, die vom Blitz getroffen worden waren. Wenn er doch bloß die Pinne loslassen und für ein paar Augenblicke das Funkgerät bedienen könnte. Dann würde er Hilfe rufen, damit im Yachthafen ein Rettungswagen auf ihn wartete, wenn er dort eintraf. Aber er wusste ja nicht mal, wo er sich befand. War er bereits in der Nähe des Piers? Mit dem wollte er nun wirklich nicht kollidieren.
Was die Haie anging, konnte Briana sie von ihrer Position aus unmöglich gesehen haben, aber sie lag genau richtig mit ihrer Warnung. Ein Stück weit vor dem Boot konnte er mehrere Bullenhaie ausmachen, die sich ein Wettrennen mit ihm zu liefern schienen. Der Anblick erinnerte ihn an eines der Bilder in seinem Büro, ein Gemälde von Winslow Homer mit dem Titel The Gulf Stream . Dieses Gemälde war der Grund, weshalb er sein Unternehmen Gulf Stream Yacht Interiors genannt und sein Boot auf den Namen Streamin ’ getauft hatte. Doch diese Haie dort vorn waren nicht aus Ölfarbe auf einer Leinwand, sondern aus Fleisch und Blut – und sie lieferten sich mit ihm ein Rennen auf Leben und Tod.
3. KAPITEL
„Mayday! Mayday! Mayday! Hier ist die Slup Streamin ’!“
Cole nahm prinzipiell kein Mobiltelefon mehr mit zum Segeln, da er dort über ein Funkgerät verfügte. Zu viele Telefone waren ihm ins Meer gefallen oder nass und damit unbrauchbar geworden. Sein tragbares Funkgerät war dagegen wasserdicht, und er konnte es mit einer Hand bedienen. Endlich reagierte jemand auf seinen Notruf.
„ Streamin ’, Streamin ’, hier Station Naples Harbor der US-Küstenwache. Ich kann Sie empfangen, Streamin ’. Nennen Sie Ihre Position. Over.“
„US-Küstenwache, hier Slup Streamin ’. Hier spricht Cole DeRoca, ich segle allein von Turtle Bay aus. Ich habe bei diesem Unwetter eine Pause auf Keewadin eingelegt, bin aber jetzt auf dem Weg nach Naples. Vermutlich Port Royal.“ Adrenalin jagte durch seinen Körper, während er hoffte, dass seine Antwort einen Sinn ergab. „Ich habe eine halb ertrunkene Frau an Bord, die auf Keewadin angespült wurde oder dorthin geschwommen ist. Möglicherweise wurde sie vom Blitz getroffen, zeitweise ist sie bei Bewusstsein.“
„ Streamin ’, haben Sie GPS an Bord?“
„Kein GPS, und hier draußen tobt noch immer die Hölle. Warten Sie … ich sehe die Ufermauer am Gordon Pass, die Felswand südlich von …“
„Gehen Sie gleich nördlich vom Gordon Pass an Land. Wir schicken einen Wagen hin …“
Cole ließ das Funkgerät fallen und fasste die Pinne wieder mit beiden Händen, um gegen die Wellen anzukämpfen, die sein Boot gegen jene Felswand zu drücken versuchten, an der er schon so oft entlanggesegelt war. Das Wasser, das vom Gordon River ins Meer strömte, traf hier auf die Brandung und brachte die Streamin ’ im Zusammenspiel mit dem Sturm beinahe zum Kentern.
Er lehnte sich über die Bordwand, so weit er konnte, um mit seinem Gewicht gegen die seitliche Neigung der Slup anzukämpfen. Hätte er doch bloß Zeit gehabt, um ein Sicherungstrapez anzulegen! „Komm schon, Baby!“ , brüllte er. Seine Meerjungfrau regte sich abermals und schrie wieder etwas, doch die Streamin ’ kam an erster Stelle, denn in dieser unberechenbaren Strömung genügte eine falsche Bewegung, um das Boot kentern zu lassen. Es war mehr als zweifelhaft, so etwas lebend zu überstehen, doch für Briana war er die letzte Hoffnung. Also gab er nicht auf.
Cole biss die Zähne zusammen und kämpfte weiter, um dem in Schräglage geratenen Gefährt etwas entgegenzusetzen. Einen Moment musste er die Pinne tatsächlich mit dem Fuß in die richtige Position drücken, da er mit dem Takelwerk und dem Großschot alle Hände voll zu tun hatte. Das Tau schnitt sich ins Fleisch ein und ließ seine Hand taub werden, während es ihm vorkam, als könne er jeden Knochen, jede Sehne und jeden Muskel in seinem Körper vor Schmerz aufschreien hören, als er sich noch ein bisschen mehr hinauslehnte, damit das Boot nicht umkippte.
Ja! In einer Entfernung von vielleicht zehn Metern glitt der Rumpf der Streamin ’ an den Felsen vorbei, dann nahm Cole Kurs aufs Ufer und kletterte zurück ins Boot, wo er sich auf den Ruck gefasst machte, wenn seine Slup sich in Sand und Muscheln fraß. Er warf sich neben Briana und drückte sie an sich, und schließlich kam das Boot wie erwartet unsanft zum Stillstand.
Als er sich aufrichtete, kam es ihm so vor, als habe sich das Unwetter wie durch ein Wunder abgeschwächt, aber vermutlich hatte er sich
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