Das Geheimnis von Turtle Bay
inzwischen einfach zu sehr an den prasselnden Regen gewöhnt, um ihn überhaupt noch wahrzunehmen. Doch das Wetter besserte sich tatsächlich, das Gewitter zog über die Bucht und die Glades weiter ins Landesinnere. Es war wie eine Belohnung dafür, dass er diesen Kampf gegen die See überlebt hatte.
Er griff über die reglose Frau hinweg nach seinem Funkgerät, das zu seinem Erstaunen noch funktionierte. Als er wieder mit der Küstenwache Kontakt aufnahm und sie wissen ließ, dass er sich sechs Strandhäuser nördlich vom Gordon Pass befand, wurde ihm versichert, der Rettungswagen sei bereits unterwegs.
„Da wäre noch was“ , sagte er zu dem diensthabenden Officer. „Geben Sie bitte weiter, es handelt sich bei der Frau um Briana vom Bergungsunternehmen Two Mermaids in Turtle Bay. Den Nachnamen weiß ich nicht. Sie sprach von ihrer Schwester Daria. Wenn jemand weiß, wo sich Daria befindet, soll er sie doch bitte von Brianas Unfall in Kenntnis setzen. Ich bin mir nicht sicher, aber womöglich waren sie beide draußen unterwegs, als das Unwetter einsetzte.“
„Falls Daria oder ihr Boot tatsächlich vermisst wird, dann lassen Sie uns das umgehend wissen. Over and out.“
„Werde ich machen“ , erwiderte Cole, dessen Stimme sich in seinen eigenen Ohren auf einmal müde und erschöpft anhörte. „Werde ich … versuchen“ , murmelte er, während er das Funkgerät abschaltete und sich über Briana beugte.
Er zog sie an sich und versuchte, sie zu wärmen. Einmal schlug sie kurz die Augen auf, diese wegen der geweiteten Pupillen fast schwarzen Augen, schien ihn aber nicht zu sehen, auch wenn sie sich fester an ihn drückte. Sein Herz schien einen Salto zu schlagen, weil es lange her war, dass er eine Frau in den Armen gehalten hatte – vor allem eine Frau, die ihn brauchte.
Als er die Sirene des Rettungswagens auf dem Gordon Drive näher kommen hörte, erschien ihm die verstrichene Zeit einerseits viel zu kurz, andererseits wie eine halbe Ewigkeit. Erst als die Sanitäter zwischen zwei Häusern auftauchten und mit einer Trage den Strand überquerten, ließ Cole Briana widerstrebend los. Die Männer untersuchten sie und legten ihr eine Infusion an, während Cole ein paar Schritte zurückging und schließlich die Slup verließ, damit er ihnen nicht im Weg stand.
Aus verschiedenen Strandhäusern kamen Menschen hinaus in den nachlassenden Regen, und ein kleiner, ältlicher Mann legte Cole eine zu kleine Jacke über die Schultern. Erst in dem Moment wurde Cole bewusst, wie sehr er zitterte.
„Falls ich mit ihr ins Krankenhaus fahren muss, könnten Sie dann auf mein Boot aufpassen?“ , fragte Cole ihn. Vor Kälte und Anspannung klapperte er pausenlos mit den Zähnen.
„Ja, sicher. Was ist mit ihr? Ist sie Ihre Frau?“
„Eine Freundin.“
„Ah. Schönes altes Boot. Machen Sie sich mal keine Sorgen, das kommt schon alles in Ordnung. Ihre Freundin und auch das Boot, meine ich.“
Manuel Salazar, von jedem kurz Manny genannt, warf die Wagentür seines alten Ford-Trucks zu, lief durch den allmählich nachlassenden Regen und schloss die Eingangstür zum Büro des Two Mermaids auf. Seine vierzehnjährige Tochter Lucinda folgte ihm und nörgelte unentwegt herum. Erst vor Kurzem hatte sie aufgehört, so wie alle anderen innerhalb der Familie nur spanisch zu reden. Manny beharrte darauf, dass es zu ihrem bevorstehenden fünfzehnten Geburtstag die traditionelle quinceañera -Feier geben würde, jene große Party für all ihre Freunde und Verwandten, mit der gefeiert wurde, dass sie bald eine erwachsene junge Frau sein würde. Die meisten chicas konnten diesen Tag gar nicht abwarten, der viel besser war als eine amerikanische Geburtstagsparty, nur seine Tochter wollte davon nichts wissen. Praktisch über Nacht hatte sich seine Lucinda von der engelsgleichen jüngeren Tochter in einen ihm fremden Menschen verwandelt.
Er ging zum Schreibtisch und sah nach, ob der Anrufbeantworter Nachrichten aufgezeichnet hatte, aber das Band war leer. Sein Magen verkrampfte sich unwillkürlich, als er überlegte, was in diesem Unwetter mit der Mermaids II geschehen sein mochte.
„Aber das kostet doch so viel, Papa. Überleg mal, was ihr mit dem Geld alles machen könnt“ , versuchte Lucinda eine neue Taktik. „Ich hab doch gehört, wie du zu Mama gesagt hast, dass du dir das gar nicht leisten kannst und dass du versuchen musst, es schon irgendwie hinzubekommen. Aber warum willst du das tun?“ Die dunklen Augen in ihrem
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