Das Geheimnis von Turtle Bay
Bree fast so vorkam, als würden sie fliegen. So sehr sie es auch liebte, das Festland hinter sich zu lassen, würde sie auf dem Meer niemals die Trauer um Daria hinter sich lassen können. Ihre Schwester würde immer ein Teil der Tiefe sein und damit der Geheimnisse, die sich dort unten verbargen. Die See hatte Daria Freude geschenkt und ihrem Dasein einen Sinn gegeben, doch sie hatte ihr auch das Leben genommen. Jedenfalls war das die Meinung der Behörden. Es mochte stimmen, da sie ertrunken war, aber Bree gelangte immer mehr zu der Überzeugung, dass die See nicht der wahre Mörder war.
Hätte sie Darias Seebestattung zulassen sollen? Sie hätte auf das Angebot der Hollimans eingehen können, doch sie vertraute ihnen nicht. Dafür waren sie zu verschlagen, andererseits konnte das auf jeden anderen auch zutreffen. Irgendjemand trug vielleicht die Schuld an ihrem Tod, jemand, der Daria womöglich nahestand. Und ihr selbst auch.
„Du hast gesagt, du könntest die Stelle ohne Karte und Kompass wiederfinden“ , rief Cole ihr zu.
Ja, sie würde die Stelle immer ohne Hilfe wiederfinden, an der sie Daria das letzte Mal gesehen hatte. Die Stelle, die ihr das Herz gebrochen hatte.
„Wir sind fast da“ , erwiderte sie. „Einen Moment, ich sehe mich mal um.“
Sie schaute in Richtung Ufer, entdeckte den Naples-Pier und den Gordon Pass im Süden, und kalkulierte die Position im Verhältnis zum rötlichen Dach des Ritz Carlton Hotel im Norden.
„Ja, hier ist die Stelle“ , ließ sie ihn schließlich wissen. „Aber fahr noch ein Stück weiter nach Süden, damit der Anker nicht mitten im Schildkrötengras landet. Ach, da fällt mir ein, es muss jemand mit mir am Dienstagmorgen herkommen und mit mir tauchen, bevor ich am Nachmittag den Bericht der Kommission vorlege.“
„Meinst du, du schaffst das ohne Daria?“
„Ja, das kriege ich hin“ , beteuerte sie mit kräftiger Stimme. „Ich muss das durchziehen. Vielleicht locke ich so jemanden aus der Reserve.“
„Nicht mit dir als Köder! Und ich werde dich nicht allein tauchen lassen. Ich komme mit dir runter, wenn du mir versprichst, dich von dem Wrack fernzuhalten.“
Sie nickte, doch er sah nicht zu ihr, da er die Segel einholte und den Anker auswarf. Während sie mit dem Kranz beschäftigt war, kam er zu ihr, um ihr zu helfen. Jeder Knochen tat ihr seit dem Angriff von gestern weh, und sie war an Stellen, die sie Cole nicht zeigen konnte, von blauen bis schwarzen Flecken übersät. Einige hatten sogar eine grünlich-golden schimmernde Färbung angenommen.
Es gefiel ihr, dass er ihr freie Hand ließ, wo sie den Kranz aussetzen wollte. Er half ihr lediglich, ihn zu halten, als sie sich über die Bordwand der Slup lehnte. Als sich das Boot wegen des Gewichts ein wenig zu neigen begann, beugte Cole sich über die andere Bordwand, sodass sie auf ihrer Seite allein war.
Einen Moment lang wusste Bree nicht, ob sie den Kranz loslassen konnte. Wie sollte sie die Beerdigung durchstehen, wenn ihr bereits ein simpler Kranz so zu schaffen machte?
Vorsichtig legte sie den Kranz aufs Wasser, warf die zwanzig Meter lange Leine des Schwimmers aus und ließ dann den runden Metallanker los, den sie an das Stück Holz gebunden hatte. Der Schwimmer schaukelte auf den Wellen hin und her, seine rote Leuchtfarbe schien von innen heraus zu glühen. Der Kranz sah auf dem Holz wirklich hübsch aus, wie er auf dem Wasser trieb, ohne sich von der Stelle zu bewegen.
Sie war Cole dankbar dafür, dass er sie in diesem Moment in Ruhe ließ, dennoch hätte sie sich zu gern an ihn geschmiegt. Während sie in die graugrünen Tiefen starrte, sprach sie lautlos: Ich liebe dich, Daria. Ich werde dich immer lieben. Aber was hast du nur getan? Mit wem hast du dich bloß eingelassen?
Ihr fiel ein, dass sie am Tag des Unglücks keinen Motor gehört hatte, als sie unter Wasser war. Wie hatte sich jemand der Mermaids II genähert? In einem Segelboot?
Unwillkürlich zuckte sie zusammen, als Cole wieder zu ihr kam und sie aus ihren Gedanken riss. Sie setzten sich auf die Holzplanken, Cole lehnte sich gegen die Heckwand. An dem Tag, als Daria starb, war er segeln gegangen. Andere waren vielleicht auch mit ihrem Segelboot unterwegs gewesen, was erklären würde, warum ihr kein Motorengeräusch aufgefallen war.
Als er sie in die Arme nahm, drückte sie sich an ihn, dankbar für den Trost und die Kraft, die er ihr spendete. „Hast du letzten Dienstag eigentlich außer dir noch andere Segler
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