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Das Geheimnis von Vennhues

Das Geheimnis von Vennhues

Titel: Das Geheimnis von Vennhues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holtkoetter Stefan
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stand ebenfalls auf und machte sich auf den Weg. Es würde auch auf dem Hof seines Vaters ein windgeschütztes Plätzchen geben, an dem er die Sonne genießen konnte. Besser, er machte seine Ankündigung wahr und blieb dort draußen, anstatt sich im Dorf aufzuhalten. Wer wusste schon, wie die anderen auf Dauer reagieren würden, wenn er sich weiterhin demonstrativ überall zeigte.

5
    Das Läuten der Kirchenglocken drang von fern bis zu dem Bauernhaus, und selbst im Innern war es noch zu hören. Bernhard Hambrock stand vor der gläsernen Terrassentür, die zum Garten seiner Eltern führte, und blickte über die Wiesen hinweg zur Silhouette der alten Klosterkirche.
    Das Hochamt war nun offenbar zu Ende. Und wenn sich an den alten Gewohnheiten nichts geändert hatte, dann ging sein Vater jetzt zum Frühschoppen in Eskings Kneipe. Dort würde er in Ruhe einen heben, und mit dem pünktlichen Heimkehren nähme er es nicht so genau.
    Als Kind hatte Hambrock es gemocht, wenn sein Vater am Sonntagmittag erst spät vom Kirchgang zurückkehrte und nach Bier und Zigarren roch. Er war dann stets in seltsam gelöster Stimmung gewesen, hatte die Kinder einzeln auf den Schoß genommen und unermüdlich mit ihnen gespielt, was ihnen gerade in den Sinn gekommen war.
    Heute wünschte er sich, sein Vater wäre auf direktem Weg nach Hause gekommen. Vor allem ohne etwas getrunken zu haben. Er hätte sich gern mit ihm über seine nächsten Schritte beraten.
    Die Sonne brach hervor. Helle Strahlen fielen quer durchs Fenster und tauchten den Raum in ein freundliches Licht. Mechthild Hambrock, seine Mutter, die an der Anrichte stand und Schokolade für den Nachtisch raspelte, hielt einen Augenblick inne und reckte ihr Gesicht den Strahlen entgegen.
    »Nach dem Regenwetter der letzten Tage habe ich gedacht, das war’s jetzt mit dem goldenen Oktober«, sagte sie, bevor sie ein weiteres Stück Bitterschokolade an das Reibeisen legte. »Doch wie es aussieht, haben wir wohl Glück gehabt.«
    »Ja, wer hätte das gedacht.«
    Bernhard Hambrock setzte sich an den Küchentisch und nahm einen Schluck von dem Kaffee, den seine Mutter ihm gekocht hatte. Dann schob er die Tasse lustlos von sich. Er hatte Hunger, und der Raum war erfüllt vom Duft des Sonntagsbratens, der im Ofen schmorte. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, und er fragte sich, wann er das letzte Mal in den Genuss westfälischer Küche gekommen war.
    Seine Frau Elli und er kochten zwar häufig und mit wachsender Begeisterung. Doch deutsche Hausmannskost war bei ihnen noch nie auf den Tisch gekommen. Sie hatten anfangs italienisch gekocht, dann thailändisch, und neuerdings experimentierten sie mit Sushi-Rezepten.
    Ein Fehler, dachte er nun mit Blick zum Ofen. Es war ein Fehler.
    »Möchtest du vielleicht schon einen Teller Suppe?« Mechthild Hambrock betrachtete ihn mit einem Lächeln. »Das verkürzt dir die Zeit, bis dein Vater zurückkommt.«
    Sie hatte seinen Blick also bemerkt.
    »Das ist lieb. Doch ich warte besser, bis die anderen da sind.«
    Sie wandte sich mit einem Schulterzucken ab. Hambrock beobachtete, wie sie eine Schüssel voller Schlagsahne in den Pudding gab und sie vorsichtig unterhob. An diesem Sonntag würde er all die Gedanken, die er sich sonst um sein Gewicht machte, beiseite schieben müssen.
    Mit einem Seufzer erinnerte er sich, weshalb er nach Vennhues gekommen war. Er ließ die Tasse mit dem erkaltenden Kaffee zwischen seinen Händen kreisen.
    »Ist Peter schon hier gewesen, um Hallo zu sagen?«, fragte er.
    »Nein«, sagte sie. »Und ich bin mir auch nicht sicher, ob er das überhaupt geplant hat. Schließlich ist viel passiert. Und es ist viel Zeit vergangen.«
    »Hast du damals an Peters Schuld geglaubt, Mutter?«, fragte er. »Mit uns Kindern habt ihr nie darüber gesprochen.«
    Ihre Bewegungen verlangsamten sich, sie blickte nachdenklich in ihre Schüssel.
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Seine Schuld war nie erwiesen.«
    »Das ist richtig. Doch was mich interessiert, ist: Was hast du damals persönlich geglaubt?«
    Hambrock betrachtete ihren Rücken, das dunkelblaue Sonntagskleid unter der Schürze, die sorgfältig frisierte Dauerwelle.
    »Fast alle haben an seine Schuld geglaubt«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. »Es herrschte eine furchtbare Unruhe im Dorf. Verdächtigt habe wohl auch ich ihn. Wer kann es mir verdenken?« Sie ließ den Kochlöffel in ihrer Hand erstarren und blickte hinaus in den Garten. »Heute habe ich ein schlechtes Gewissen

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