Das Geheimnis von Vennhues
sein Mechaniker saßen noch mit Kaffee und Bildzeitung im Pausenraum. Schwerfällig und mit kleinen Augen schoben sie den Wagen des Kommissars in die Werkstatt. Der Steuerriemen war gerissen. Deshalb hatte sich der Wagen am vergangenen Abend von einem Moment auf den anderen nicht mehr bewegen lassen.
Hambrock musste kleinlaut zugeben, dass die letzte Inspektion mehr als drei Jahre zurücklag, und der Mechaniker zuckte daraufhin nur mitleidslos mit den Schultern. Der Wagen blieb dort. Hambrock sollte am frühen Nachmittag wiederkommen, dann – so versprach man ihm – würde er ihn abholen können.
Hambrock überlegte, ob er mit einem Mietwagen nach Münster fahren sollte. Am liebsten wäre er jedoch bis zum Nachmittag geblieben. Er rief bei Heike im Präsidium an und erfuhr, dass der Staatsanwalt mit einer Erkältung im Bett lag. Das Treffen war um zwei Tage verschoben worden.
»Wenn du Lust hast, kannst du also heute in Vennhues bleiben«, sagte sie. »Ich habe zumindest nichts dagegen. Du bist doch eh wegen eines Altfalls dort, dann kannst du dir sogar die Stunden aufschreiben. Und wenn jemand fragt, sage ich, du bist im Außeneinsatz.«
»Also gut. Dann bleibe ich.«
Hambrock wollte bereits auflegen, als Heike noch etwas einfiel.
»Philipp hat übrigens die Zeugenbefragung gefunden, in der von einem unbekannten Pkw die Rede war. Du weißt schon, in der alten Akte. Die Zeugin heißt Aenne Brook. Sie hatte wohl damals einen kleinen Lebensmittelladen, der …«
»Ich weiß. Ich kenne sie. Vielen Dank.«
Nach dem Telefonat machten er und sein Vater sich mit dem Traktor auf den Rückweg. Hambrock musste sich im Führerhaus auf den schmalen Sitz oberhalb des Hinterrads zwängen. Früher als Kind hatte er es geliebt, dort zu sitzen, stundenlang konnte er seinem Vater auf dem Feld beim Pflügen oder Eggen zusehen. Doch heute erschien ihm das Führerhaus ganz empfindlich geschrumpft zu sein, und er musste sich eingestehen, dass er für solch eine Unternehmung inzwischen zu viele Pfunde auf der Hüfte hatte.
Am Ende ging es aber irgendwie, und als sie gemeinsam über die Landstraßen zurück nach Vennhues fuhren, gelang es ihm sogar, die Fahrt zu genießen. Auf dem Traktor war es zu laut, um sich zu unterhalten, und so saßen sie ganz einfach schweigend beisammen und betrachteten zufrieden die gemächlich vorüberziehende Landschaft.
Sie mussten ein sonderbares Bild abgeben dort oben auf dem Traktor. Die Leute blieben stehen und blickten ihnen nach. Einige winkten sogar, oder sie steckten die Köpfe zusammen und lachten. Hambrock störte sich jedoch nicht daran. Er war wieder ein kleiner Junge, und umgeben von Motorengeräusch und dem Geruch des leichten Sandbodens bekam er noch einmal das Gefühl, auf ewig unangreifbar zu sein gegenüber der Welt und ihren Gefahren.
Im Dorf angekommen, ließ sich Hambrock am Parkplatz neben der Kirche absetzen. Der rote Klinkerbau von Aenne Brook gehörte zu dem halben Dutzend Gebäuden, die mit der Kirche das Dorfzentrum bildeten. Ihr Lebensmittelladen war früher im Erdgeschoss gewesen, bis sie ihn vor einigen Jahren für immer geschlossen hatte. Hinter dem großen Schaufenster stand heute nur noch ein Blumengesteck, und eine schwere Gardine hinderte die Leute daran, ins Innere zu blicken.
Hambrock ließ den Blick über die verwaiste Dorfmitte schweifen. Früher war in jedem der Häuser ein Laden gewesen, dachte er, und auf der Straße hatte immer Leben geherrscht. Doch mit dem Wohlstand waren die Autos gekommen und dann die ausgebauten Straßen und schließlich die Einkaufszentren mit Baumärkten und Aldi-Filialen. Zuerst war Zumbültes Woll- und Strumpfgeschäft eingegangen, danach musste Leusbrocks freie Tankstelle schließen und Schulte Beukers herrlich altmodischer Kolonialwarenladen, in dem es beinahe alles zu kaufen gab, von Laubrechen über Kittelschürzen bis zu Barbiepuppenkleidern. Kurz darauf machten der Laden von Aenne Brook und die winzige Filiale der Sparkasse zu. Und zum Schluss traf es sogar die Kneipen.
Hambrock trat an die Tür des Klinkerbaus und drückte die Klingel. Es dauerte eine Weile, bis eine kräftig gebaute Frau mit grauem Gesicht und tiefen Augenrändern in der Tür erschien. Hambrock schätzte sie auf Mitte bis Ende vierzig.
»Guten Tag«, sagte er. »Ich möchte zu Frau Aenne Brook.«
Die Frau sah ihn an, der erschöpfte Ausdruck verschwand aus ihren Augen.
»Bernhard?«, fragte sie.
Im selben Moment hatte er sie erkannt. Es war
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