Das Geheimnis von Vennhues
er ein paar Flaschen Bier und Mineralwasser in den Weidenkorb, dann wandte er sich wieder zum Gehen. Er trat ins Freie und drückte die Tür hinter sich ins Schloss. Erst da bemerkte er die Gestalt, die hinter ihm aufgetaucht war. Erschrocken wirbelte er herum.
Es war Timo Große Dahlhaus. Der Junge, den er auf dem Kirchhof kennengelernt hatte. Er stand am Zaun der Apfelwiese, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Mit einem breiten Grinsen sah er Peter an.
Der stieß die Luft aus.
»Mein Gott, Timo! Musst du dich so heranschleichen?«
»Ich habe mich nicht herangeschlichen. Ich gehe nur spazieren.«
»Um diese Uhrzeit?«
»Das mache ich häufig. Ich mag es, wenn niemand mehr unterwegs ist. Dann hat man alles ganz für sich.«
Peter sah ihn skeptisch an. Es war kein Zufall, dass der Junge hier aufgetaucht war, davon war er überzeugt.
»Und ganz nebenbei trifft man noch Nachbarn und kann ein kleines Schwätzchen halten, nicht wahr?«
Ein Schatten fiel über das Gesicht des Jungen.
»Mein Vater hat mir verboten, mit dir zu sprechen«, sagte er. »Er meint, du würdest einen schlechten Einfluss auf mich haben.«
Peter zuckte mit den Schultern und wartete. Der Junge hatte etwas auf dem Herzen, deshalb war er gekommen. Timo trat auf der Stelle, doch dann rückte er heraus mit der Sprache.
»Nächste Woche werde ich achtzehn«, begann er. »Dann bin ich erwachsen.« Er schien noch nach einer geeigneten Formulierung zu suchen, doch da platzte es schon aus ihm heraus: »Ich will zur See fahren, so wie du. Ich will das unbedingt. Schon ganz lange. Ich will nach Mexiko oder Südamerika. Ich habe aber kein Geld für einen Flug, und deshalb will ich auf einem Frachter arbeiten. Doch das ist nicht so einfach. Ich brauche Hilfe dafür. Ich …« Er verstummte.
Peter räusperte sich. »Timo, ich weiß nicht …«
»Mir ist klar, dass ich von der Arbeit auf einem Schiff noch nichts weiß. Ich habe auch keine Ahnung, wohin ich gehen muss und wie ich es am besten anstelle. Aber ich kann arbeiten, und das ist doch das Wichtigste, oder?« Er blickte ängstlich zu ihm auf. »Ich dachte, du könntest mir vielleicht dabei helfen …?«
Peter stellte den Korb ab und verschränkte die Arme.
»Weshalb willst du denn fort von hier?«, fragte er.
Timo sah ihn überrascht an. »Ich möchte etwas erleben. Ich möchte die Welt kennenlernen. Hier ist alles so eng und geordnet. Ich will von hier weg. So weit wie nur irgend möglich.«
Peter hatte bereits mit so einer Antwort gerechnet. Mit einem Seufzer sagte er: »Komm erst einmal mit hinein. Wir können dann in Ruhe reden.«
Der Junge trat erschrocken einen Schritt zurück. »Nein. Dein Vater darf nicht wissen, dass ich hier war. Ich muss wieder gehen. Wir dürfen uns nicht sehen, solange du in Vennhues bist. Ich dachte …« Er verstummte.
»Du dachtest?«
Angst und Sorge huschten über sein Gesicht. »Ich dachte, du könntest mich vielleicht mitnehmen, wenn du wieder gehst.«
Peter hoffte, dass sein Gesichtsausdruck nicht verriet, was er von dieser Sache hielt. Er musste behutsam vorgehen, wollte er den Jungen nicht zu sehr verletzen.
»Timo, sieh mal …«
Die Stimme seines Vaters tönte über den Hof.
»Peter! Wo bleibst du denn?«
Timo trat eilig in den Schatten der Melkkammer. Werner Bodenstein spähte durch die Tennentür hinaus ins Freie.
»Ich komme gleich!«, rief Peter und winkte ihm zu. »Eine Sekunde.«
Der alte Mann verschwand mit einem Grummeln im Innern.
»Wir reden ein andermal«, sagte Peter zu Timo. »Ist das okay?«
Der Junge presste die Lippen aufeinander und nickte. Dann lief er über den Hof zur Straße und verschwand wieder in der Dunkelheit, aus der er gekommen war.
Peter schob den Riegel vor die Tür der Melkkammer. Bevor er sich wieder auf den Weg ins Haus machte, blickte er nochmals zu dem Feldweg, der in den Birkenwald führte.
Er hatte noch immer das Gefühl, beobachtet zu werden. Doch wahrscheinlich bildete er sich das nur ein. Er wischte den Gedanken beiseite und trug den Korb zurück ins Haus.
8
In aller Herrgottsfrühe waren Hambrock und sein Vater zur Werkstatt aufgebrochen. Sie hatten sofort nach dem Frühstück die Abschleppkette aus dem Schuppen geholt. Da Mechthild Hambrock mit dem Mercedes zum Arzt musste, hatten sie den Volvo kurzerhand hinter den Traktor gespannt. Die Werkstatt lag gut zehn Kilometer von Vennhues entfernt, und als sie um kurz nach acht dort eintrafen, waren sie die ersten Kunden. Der Chef und
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