Das Geheimnis von Vennhues
zu.
Hambrock fuhr los. Er ließ zum Abschied die Hupe ertönen und bog auf die Straße – da ging mit einem Husten der Motor aus. Der Wagen blieb im nächsten Moment stehen. Nichts rührte sich mehr.
Verwundert blickte Hambrock auf das Armaturenbrett. Doch nirgends leuchtete eine Warnmeldung, alles schien in Ordnung zu sein. Er drehte erneut den Zündschlüssel, der Motor stotterte, der Wagen sprang jedoch nicht an. Egal, wie oft er es versuchte. Es hatte keinen Sinn.
Er ließ die Motorhaube aufspringen und stieg aus.
»Ist der Tank leer?« Sein Vater war hinter ihm aufgetaucht.
»Ich habe heute Morgen vollgetankt.«
Hambrock warf einen Blick in den Motor, doch seine Kenntnisse reichten bei Weitem nicht aus, um den Fehler zu erkennen. Zumindest konnte er feststellen, dass es nirgends qualmte oder brannte.
»Ist die Batterie in Ordnung?«, fragte sein Vater.
»Ja.«
»Hm. Soll ich den ADAC rufen?«
Hambrock dachte kurz nach. Der Automobilclub würde jedoch auch nichts anderes tun, als den Wagen zur nächsten Werkstatt zu bringen. An einem Sonntagabend wäre hier draußen auf dem Land niemand von solch einem Einsatz begeistert.
»Nein, heute Abend hat das keinen Sinn mehr. Besser morgen früh.«
»Wenn du willst, kannst du unseren Wagen nehmen«, fügte sein Vater hinzu. »Dann bringe ich deinen Volvo morgen mit dem Traktor zur Werkstatt.«
Hambrock schenkte ihm ein dankbares Lächeln. »Ihr braucht doch euren Wagen selbst.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Wenn es keine Umstände macht, bleibe ich ganz einfach über Nacht. Dann bringen wir den Wagen morgen gemeinsam in die Werkstatt. Vielleicht ist es nur eine Kleinigkeit, und dann kann ich direkt weiterfahren.«
Es wäre kein Problem, morgen ein paar Stunden später zur Arbeit zu kommen. Im Präsidium war ohnehin nicht sonderlich viel los.
Mechthild Hambrock blickte ihren Sohn mit gespielter Empörung an.
»Es macht doch keine Umstände, wenn du hierbleibst«, sagte sie vorwurfsvoll. »Im Gegenteil, du machst uns eine Freude. Ich werde alles vorbereiten.«
Sie ging zurück ins Haus, um das Bett im Gästezimmer zu beziehen, und sein Vater half ihm, den Wagen zurück auf den Hof zu schieben.
»Ich muss nur schnell meine Kollegin anrufen«, sagte Hambrock, nachdem er die Handbremse angezogen hatte. »Ich komme gleich nach.«
Sein Vater ging schon ins Haus, und Hambrock holte sein Handy aus der Manteltasche. Einen Moment lang tat sich nichts auf dem Display, dann leuchtete eine Meldung auf: Kein Netz.
Das hätte er sich denken können. Inzwischen waren die Netze der Mobilfunkfirmen zwar feinmaschiger, hier draußen bekam er dennoch meist nur ein schwaches Signal.
Er ging einige Meter die Straße hinunter, die zum Dorf führte, den Blick dabei auf das Display gerichtet. Mit einem Mal stand das Netz. Er hielt inne und rief die Nummer von Heike Holthausen auf, seiner Kollegin aus Münster. Als er jedoch auf Wählen drückte, brach die Verbindung bereits wieder zusammen. Er war in ein Funkloch gerutscht.
»Mist!« Er ging weiter, folgte dem Weg zum Dorf.
Der Nebel verdichtete sich und quoll über die Straßen von Vennhues. Keine Menschenseele war mehr unterwegs. Die wenigen Laternen leuchteten über den Parkplatz und die verwaiste Schnellstraße. Alles war still.
Plötzlich hatte er wieder ein Netz. Diesmal würde es klappen. Er stellte die Verbindung her, und am anderen Ende ertönte ein Freizeichen. Er wartete.
Am Kirchhof stand eine alte Buche unterhalb der Laterne. Das Herbstlaub strahlte in kraftvollem Orange durch die Nacht, und auf Hambrock wirkte es, als stünde der gesamte Baum in Flammen. Er sah sich weiter um. Das Fachwerkhaus von Hermann Esking lag dunkel und verlassen, ein einsamer Wagen stand auf dem Bürgersteig vor dem Gasthof. Daneben brannten Grablichter auf dem Friedhof, doch die kleinen Flammen wurden zunehmend unsichtbar im dichter werdenden Nebel.
Hambrock stockte.
Irgendetwas stimmte nicht.
Da war etwas, das nicht ins Bild gehörte, ohne dass er hätte sagen können, was. Etwas Vages und Unbestimmtes, wie eine Erinnerung oder ein Déjà-vu. Als hätte er dieses Gesamtbild schon einmal gesehen, ohne sagen zu können, wann.
Plötzlich begriff er. Er wusste, was ihm aufgefallen war.
In diesem Moment hörte er die Stimme seiner Kollegin an seinem Ohr.
»Hallo Hambrock!«, sagte sie gutgelaunt, wie alle Kollegen im Präsidium nannte sie ihn nur beim Nachnamen. »Hast du solche Sehnsucht nach mir, dass du anrufst,
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