Das Geheimnis von Vennhues
Lehne ihres Rollstuhls.
»Er sitzt da und lacht über uns! Das ist unerträglich. Du musst etwas tun, damit er von hier verschwindet, Bernhard.« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn du ihn schon nicht festnehmen kannst, dann musst du ihn von hier vertreiben.«
Hambrock goss ihnen beiden Kaffee ein und bediente sich von der Milch.
»Ich glaube nicht, dass er über uns lacht«, sagte er ruhig. »Er ist gekommen, um seinen Vater zu besuchen. Die beiden haben sich eine Ewigkeit nicht gesehen.«
»Jetzt hast du auch noch Mitleid mit ihm?« Aenne Brook fixierte ihn mit dunklen Augen. »Du musst mit ihm reden, Bernhard! Überzeuge ihn davon, dass er gehen muss. Und zwar möglichst schnell!«
Hambrock dachte an Josef Kempers Besuch bei seinem Vater. Kemper und Brook haben sich seit jeher gut verstanden, dachte er. Natürlich musste er auch zu ihr gekommen sein mit seinem Anliegen.
»Ist Peter Bodenstein in Gefahr, Frau Brook? Soll er deshalb verschwinden von hier. Weil ihm ansonsten etwas zustößt?«
Sie sah ihn erstaunt an. »Nein. Wieso denn auch?«
Hambrock fand jedoch, dass ihre Antwort zu eilig kam.
»Er gehört einfach nicht hierher«, fuhr sie fort. »Deshalb soll er gehen. Es werden sonst alte Wunden aufgerissen, die besser geschlossen bleiben.«
Hambrock nickte. Er würde mit Josef Kemper selbst sprechen müssen, das hatte er sich ohnehin vorgenommen.
»Es gibt noch einen anderen Grund, weshalb ich gekommen bin«, sagte er. »Ich möchte mit Ihnen über eine Beobachtung reden, die Sie damals vor dem Mord an Willem van der Kraacht gemacht haben. Laut Protokoll haben Sie der Polizei von einem Pkw berichtet, der in den Tagen vor dem Mord in Vennhues gewesen war. Ein fremdes Auto, dass nicht hierher gehörte.«
Aenne Brook griff nach der Kaffeetasse und nahm einen tiefen Schluck.
»Das habe ich gesagt?«
»Mehrmals«, sagte Hambrock. »Nach dem Mord sei der Wagen dann verschwunden, und Sie hätten ihn nie wieder gesehen.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern.«
»Aber es ist Ihnen damals sehr wichtig gewesen.«
»War das so? Dann muss ich tatsächlich etwas in der Art gesagt haben. Weißt du, damals war alles wichtig. Das hat auch die Polizei gesagt. Jede Kleinigkeit könnte wichtig sein. Vielleicht habe ich etwas gesehen, vielleicht auch nicht. Heute weiß ich das nicht mehr. Es wurde einem auch viel in den Mund gelegt.«
Aenne Brook schlürfte nachdenklich von ihrem Kaffee und blickte an ihm vorbei in die Ferne. Schließlich schüttelte sie wieder den Kopf.
»Nein. An ein fremdes Auto kann ich mich nicht mehr erinnern.«
Hambrock glaubte ihr nicht. Natürlich erinnerte sie sich an ihre Aussage. Das sagte ihm sein Gefühl. Es musste einen Grund dafür geben, dass sie nun log.
Sie räusperte sich. »Außerdem wissen wir doch, wer es getan hat. Peter Bodenstein ist der Mörder. Wer sonst käme in Frage?«
»Ja«, sagte Hambrock und blickte sie an. »Wer sonst käme in Frage?«
Nachdem er sich von Aenne Brook verabschiedet hatte, brachte ihn Gabriele zur Tür. Er versuchte, einige Worte mit ihr zu wechseln und an vergangene Zeiten anzuknüpfen. Doch sie gab sich einsilbig und distanziert, und Hambrock kam der Verdacht, dass er sie mit seinem Geplauder nur von ihrer Arbeit abhielt.
Er verließ das Haus und trat auf den Bürgersteig.
Damals waren sie durch die Wälder rund um Vennhues gestreift, immer auf der Suche nach weggeworfenen Pfandflaschen. Peter und Willem, er und ein paar andere Jungen aus dem Dorf. Für eine Pfandflasche gab es bei Aenne Brook dreißig Pfennig oder, umgerechnet, zwei Wassereis. Peter hatte dafür gesorgt, dass sie erst dann zu Brook gingen, wenn die gefundenen Flaschen jedem ein Eis ermöglichten. Hambrock war damals der Jüngste gewesen, und ohne Peter wäre er wohl meistens leer ausgegangen.
Er betrachtete das Blumengesteck in dem zugehängten Schaufenster. Machten diese Erinnerungen es unmöglich, dass Peter der Mörder war? Der Junge, der Hambrock einmal gewesen war, wünschte es sich sehr. Doch natürlich wusste er es besser.
Peter Bodenstein riss die alten Sprossenfenster weit auf. Er inhalierte die kühle Morgenluft und lehnte sich hinaus ins Freie. Der Regen der vergangenen Nacht hatte einen nassen Film auf der Wiese und den gelbbraunen Blättern der Apfelbäume hinterlassen. Nebliger Dunst hing in der feuchten Luft. Unter ihm im Gras lagen faule und zerfressene Äpfel, und ein Igel irrte umher auf der Suche nach einer
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