Das Geheimnis von Vennhues
Tür.
»Josef Kemper«, sagte sie. »Er will unbedingt mit dir reden.«
»Schon gut. Fangt schon mal an. Ich komme gleich.«
Hambrock wartete, bis sie in der Küche verschwunden war, dann ging er zur Haustür. Josef Kemper stand mit finsterem Blick vor der Steintreppe, die Hände tief in den Taschen seiner Arbeitshose vergraben.
»Hallo, Josef. Was kann ich für dich tun?«
Die Stimme des alten Bauern war eiskalt.
»Du warst heute Vormittag bei Norbert Osterholt.«
Das hätte ich mir denken können!, schoss es Hambrock durch den Kopf.
Der Kommissar blickte durch die Diele zur angelehnten Küchentür. Er konnte sich vorstellen, wie der Rest der Familie hinter der Tür hockte und mit großen Ohren lauschte.
»Reden wir draußen«, sagte er.
Er zog die Tür hinter sich ins Schloss, trat auf den Hof und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Dann schieß mal los. Was willst du von mir?«
Kemper sah ihn wütend an. »Du verdächtigst Norbert! Ist das dein Ernst?« Es hörte sich an, als schimpfe er mit einem ungezogenen Kind. »Norbert soll den Mord begangen haben? Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?«
Hambrock wollte sich nicht herausfordern lassen. »Ich verdächtige niemanden«, sagte er ruhig. »Ich gehe nur meiner Arbeit nach.«
Kemper schnaubte. »Du hast ihm Fragen gestellt, und zwar auf eine Art und Weise, als wäre er ein Tatverdächtiger. Willst du das etwa leugnen?«
»Bist du deshalb gekommen, Josef? Um mir das vorzuwerfen?«
Die Lippen des Bauern bebten. Er schien darum zu kämpfen, seine Fassung zu behalten.
»Denkst du denn etwa, dass einer von uns …? Bernhard! Du bist ein Vennhueser. Du musst es doch besser wissen.«
»Ich denke im Moment gar nichts, Josef. Ich führe nur eine Ermittlung.«
Hambrock betrachtete ihn aufmerksam.
»Es gibt nur eines, was ich nicht verstehe. Was geht es dich an, worüber ich mit Norbert Osterholt gesprochen habe?«
»Was mich das angeht?« Kemper starrte ihn fassungslos an. Er wollte etwas erwidern, doch anscheinend fehlten ihm die Worte.
Hambrock entschloss sich zu einer Geste. Kemper sollte sich daran gewöhnen, dass er kein kleiner Junge mehr war.
»Du bewegst dich auf dünnem Eis, Josef«, sagte er. »Glaubst du etwa, ich weiß nicht, wer es war, der die Männer gestern Nacht angeführt hat, als ihr euch Peter schnappen wolltet?«
Kemper blickte ihn mit offenem Mund an.
»Ich kann dir nur raten, das Gesetz nicht selbst in die Hand zu nehmen«, fuhr er fort, »denn ein zweites Mal werde ich es nicht auf sich beruhen lassen. So sehr ich für eure Gefühle Verständnis habe. Selbstjustiz ist ein schwerwiegendes Vergehen. Du solltest also besser mit uns zusammenarbeiten.«
Kemper holte tief Luft. Offenbar wollte er ihm widersprechen. Doch dann überlegte er es sich anders. Er schluckte seinen Ärger runter.
»Also gut«, sagte er beherrscht. »Trotzdem möchte ich dich bitten, mir zu erklären, weshalb du Osterholt verdächtigst. Wenn ich dir helfen soll, dann möchte ich vorher wissen, ob du den Verstand verloren hast oder nicht.«
Hambrock zögerte, doch dann entschloss er sich, ein kleines Zugeständnis zu machen.
»Osterholt hat kein Alibi«, sagte er. »Ihr alle habt keines. Zur Tatzeit wart ihr alle auf dem Weg zu Hermann Esking. Jeder hätte die Gelegenheit gehabt, einen Abstecher ins Moor zu machen. Solange Peter nicht gefasst ist, werde ich nachforschen, wer sonst noch ein Motiv haben könnte. Denn Peters Schuld ist nicht bewiesen.«
»Ein Motiv …« Kemper dachte nach. »Du meinst, wegen der Freundschaft zwischen Norberts Tochter und Timo?« Er lachte freudlos. »Aber deshalb bringt man doch niemanden um. Früher oder später hätte Jennifer von ganz allein Schluss gemacht mit diesem dummen Jungen.«
Sieh einer an!, dachte Hambrock. Die Geschichte ist also bekannt in Vennhues.
Er wollte einen Schritt weitergehen.
»Hilf mir auf die Sprünge, Josef«, sagte er. »Sicherlich kannst du dich an die damalige Zeit noch gut erinnern. Wie war es, als Kai van der Kraacht nach seiner Heirat den Hof übernommen hat. Mia hatte sich einen Holländer ausgewählt, und der lebte nun in Vennhues. Das war doch eine seltsame Situation, nicht wahr?«
Kemper blickte ihn misstrauisch an. »Worauf willst du hinaus?«
»Kai hatte viele Feinde hier. Niemand wollte ihn haben.«
»Das war eine andere Zeit!« Der Bauer schüttelte den Kopf. »Eine ganz andere Zeit. Du kannst das nicht wissen, du warst noch nicht auf der Welt. Nach dem Krieg
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