Das Geheimnis von Vennhues
Fenster abzuwenden, sagte sein Vater : »Norbert hatte niemals ein Anrecht auf den Hof.«
»Norbert war so zornig«, fuhr seine Mutter fort. »Nicht nur einmal hat er Kai die Pest an den Hals gewünscht. Aber als der arme Willem dieses schreckliche Ende fand, glaubten trotzdem nur wenige, dass Norbert hinter dieser Sache stecken könnte.«
Hambrock hob eine Augenbraue. »Wer waren diese wenigen?«
Seine Mutter senkte ihren Kopf und rührte verlegen in der Kaffeetasse.
Doch er hatte bereits verstanden.
»Familie Große Dahlhaus gehörte in jedem Fall dazu, nicht wahr? Soweit ich mich erinnere, konnten Klemens’ Eltern Norbert nie sonderlich gut leiden.«
Sein Vater wandte sich vom Fenster ab.
»Wir wollen nicht über andere Leute urteilen«, sagte er mit scharfer Stimme. »Vielleicht haben sie ihn verdächtigt, vielleicht aber auch nicht. Wer will das heute noch sagen können? Nach Peters Festnahme gab es keine Verdächtigen mehr. Der Täter stand fest, so hat es die Polizei gesagt.« Er blickte seinem Sohn drohend in die Augen. »Und eines wollen wir nicht vergessen: Große Dahlhaus haben sich in jener schweren Zeit sehr redlich und hilfsbereit gegenüber ihren Nachbarn verhalten. Sowohl gegenüber den van der Kraachts als auch gegenüber den Osterholts.«
Hambrock senkte den Blick. Er wollte es auf keinen Streit ankommen lassen. Er glaubte ohnehin nicht mehr an die Schuld von Norbert Osterholt. Diese Geschichte erklärte lediglich, weshalb Gertrud ihn im Moor angegriffen hatte. Doch der Mörder war ein anderer, da war er ganz sicher.
»Weshalb hat uns Josef Kemper gestern beim Mittagessen gestört?«, fragte er. »Schließlich war Allerheiligen.«
Seine Mutter sah ihn erstaunt an.
»Er wollte mit dir reden. Und das hat er doch auch getan, oder?«
»Du weißt genau, was ich meine«, sagte er. »Mir ist das nämlich schon aufgefallen: Interessanterweise ist Josef immer dann zur Stelle, wenn es um die Richtung der Ermittlungen in diesem Fall geht. Wenn man es übel meinte, könnte man auf die Idee kommen, er wolle die Ermittlungen sabotieren.«
»Sabotieren …?« Seine Mutter setzte ein empörtes Gesicht auf.
Doch Hambrock fiel nicht darauf herein. Seine Eltern wussten etwas, davon war er überzeugt.
»Er ist immer da, wenn es darum geht, Peter zu belasten oder gegen ihn vorzugehen«, fuhr er fort. »Josef Kemper war es wohl auch, der die Männer am Tatabend angestachelt hat, sich Peter zu schnappen. Oder irre ich mich? Weiß der Himmel, was geschehen wäre, wenn sie ihn erwischt hätten.«
Sein Vater betrachtete ihn unwillig. Offenbar gefiel ihm diese Wendung des Gesprächs nicht.
»Josef nimmt sich ein bisschen wichtig«, sagte er beschwichtigend. »Er sieht sich gerne in der Rolle des Ordnungshüters. Mensch, du kennst ihn doch! Er ist im Kirchenvorstand, und er ist Kassenwart im Schützenverein, er mischt in der Jagdgenossenschaft mit und im Bauernverband. Gäbe es in Vennhues den Posten eines Bürgermeisters, Josef Kemper hätte ihn mit Sicherheit. Verstehst du, Junge? Er sabotiert nichts. Er hält sich nur für unersetzlich.«
Doch Hambrock wollte sich nicht so leicht abspeisen lassen.
»Das ist längst nicht alles«, sagte er.
Sein Vater verschränkte die Arme vor der Brust. »So?«
»Ich werde es dir erklären«, sagte Hambrock. »Zurück zum September zweiundachtzig. Kemper war in dem Familienstreit auf der Seite von Norbert Osterholt, nicht wahr? Kai van der Kraacht war ihm ebenfalls ein Dorn im Auge, deshalb hat er Norbert unterstützt. Wahrscheinlich wegen irgendwelcher Blut- und Bodenüberzeugungen. Wundern würde mich das nicht. Da kommt ein Patjacke und schnappt sich einen der schönsten Höfe in Vennhues. Das konnte Kemper wohl nicht ertragen …«
»Das weißt du gar nicht!«, sagte sein Vater aufgebracht. »Er war nie auf der Seite von Norbert! Auch wenn dir das so passen würde.«
»Ach ja?«
»Du hast doch keine Ahnung!«
Damit wandte sein Vater sich wieder zum Fenster und fiel in Schweigen.
Mechthild Hambrock fasste sich nervös an den Hals und zupfte an ihrem Seidenschal. Sie warf einen unsicheren Blick in den Rücken ihres Mannes, dann ergriff sie wieder das Wort.
»Also gut«, sagte sie. »Vielleicht ist es das Beste, wenn du es erfährst. Du musst aber versprechen, dass du mit diesem Wissen nicht leichtfertig umgehst.« Sie sah ihn sorgenvoll an. »Es wäre besser, wenn generell niemand davon erführe. Die ganze Sache ist schon sehr lange her, und im Grunde spielt
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