Das Geheimnis von Vennhues
sie heute keine Rolle mehr.«
Hambrock beugte sich vor. »Mutter! Wovon sprichst du?«
Mit einem Seufzer gab sie sich geschlagen.
»Du weißt doch, dass Josef und seine Frau Adelheid nicht unbedingt die beste Ehe führen. Das haben sie noch nie getan.«
Weil er sie schlägt, hätte Hambrock am liebsten gesagt, doch er besann sich rechtzeitig eines Besseren.
»Es war keine Liebesheirat gewesen damals«, sagte sie. »Doch im Gegensatz zu so manch anderem Paar haben Adelheid und er auch im Laufe der Jahre nie so recht zu einander gefunden. Irgendwann einmal …«
Hambrock senior verlor die Geduld und platzte heraus:
»Josef hatte ein Verhältnis mit Mia van der Kraacht!«
Hambrock blickte ihn fassungslos an.
»Sie haben es geheim gehalten«, beeilte sich die Mutter hinzuzufügen. »Kaum jemand im Dorf wusste etwas. Dein Vater hat es auch nur durch einen Zufall erfahren. Er hat …«
»Das tut nichts zur Sache!«, unterbrach er sie. »Wichtig ist nur, dass der Junge weiß, dass Josef kein Mörder ist. Er würde einem anderen Menschen niemals etwas so Schlimmes antun können. Dazu wäre er nicht fähig, ganz egal, wie ruppig er wirken mag.«
Hambrock war entgeistert. Es musste seinen Eltern doch bewusst sein, wie sehr sie Josef damit belasteten. Er bekam damit ein überaus starkes Motiv für den Mord. Er hätte die Ehe dadurch zerstören und Mia für sich gewinnen können. Hambrock konnte nicht glauben, dass seine Eltern das damals der Polizei verschwiegen hatten.
»Aber das bedeutet doch …«, begann er.
»Nein, das bedeutet überhaupt nichts!« Sein Vater blickte ihn entschlossen an. »Ich kenne Josef, seit wir kleine Jungen waren. Er ist kein Mörder, das weiß ich genau. Du kennst jetzt die ganze Geschichte. Doch du darfst keine falschen Schlüsse daraus ziehen. Josef hat nichts mit den Morden zu tun, und damit basta! Das musst du akzeptieren.«
Hambrock erlangte seine Fassung wieder. Er beschloss, seinem Vater nicht zu widersprechen. Das wäre momentan das Beste. Dennoch war er keineswegs von Kempers Unschuld überzeugt. Ganz egal, wie gut sein Vater diesen Mann zu kennen glaubte.
Hambrock sah ihn an und nickte. Damit war das Thema vorerst beendet.
Er würde sich Kemper später vornehmen.
Peter Bodenstein war sich im Klaren darüber, dass er ein Risiko einging. Es wäre besser, wenn er im Verborgenen bliebe und von niemandem gesehen würde. Die Polizei glaubte wahrscheinlich, dass er über Enschede ins Landesinnere oder weiter südlich nach Belgien geflüchtet war. Und das wäre auch das Vernünftigste gewesen, wollte er mit heiler Haut davonkommen. Es würde ihm keine Schwierigkeiten bereiten unterzutauchen. Er kannte genügend Reedereien, die ihn mit gefälschten Papieren einstellen würden. Reeder, die unter Billigflagge fuhren und es mit den Auflagen nicht so genau nahmen. Mit seinen Erfahrungen als Chefingenieur der Brochnow würden sie ihn ohne zu zögern und mit Kusshand nehmen.
Er hatte nichts zu verlieren. Keine Familie, keine Freunde, keinen Besitz. Eine Flucht wäre in seiner Situation das Beste gewesen.
Dennoch wollte er nicht weg. Er wollte sich nicht wieder aus Vennhues verjagen lassen wie damals nach dem ersten Mord. Er wollte Gewissheit haben, was tatsächlich passiert war.
Das Vennhueser Neubaugebiet wirkte an diesem Vormittag wie ausgestorben. Peter schlug sich auf der Rückseite der Häuser durch die Wallhecke, die die Siedlung von den umliegenden Feldern trennte, bis er das Grundstück seines Jugendfreundes Manfred Heesing erreicht hatte.
Bei seinem letzten Besuch hatte Manfred an seinem Carport gezimmert, doch heute lag die Baustelle verwaist. Peter wusste aber, dass Manfred noch immer Urlaub hatte. Im Innern des Hauses sah er ein Licht brennen. Gut möglich, dass er bei diesem trüben Novemberwetter die Arbeit hinauszögerte und sich lieber in der warmen Küche verkroch. Dass er allein sein musste, hatte Peter bereits herausgefunden. Mit einem Anruf bei der Kreisverwaltung hatte er sich versichert, dass Manfreds Frau an ihrem Arbeitsplatz war, und die Kinder würden wie immer im Kindergarten sein.
Peter schlich durch den Garten zum Wohnhaus und lugte vorsichtig durch die Terrassentür, hinter der die Küche lag. Manfred saß im Jogginganzug und mit Wollsocken am Tisch, trank Kaffee und las Zeitung. Er hatte Peter noch nicht entdeckt. Der fasste sich ein Herz und klopfte sacht mit dem Knöchel gegen die Scheibe.
Verwundert blickte Manfred auf. Als er Peter hinter der
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