Das Geheimnis
Verrats angeklagt und war nur um Haaresbreite der Hinrichtung entronnen, da er mit Hiratas Hilfe im letzten Augenblick seine Unschuld hatte beweisen können. Erst vor sieben Tagen waren die beiden aus Nagasaki nach Edo zurückgekehrt. Zwar brannte in Sanos Innerem wie eh und je der Wunsch, verborgene Wahrheiten aufzudecken, dem Recht und der Gerechtigkeit zu dienen und Verbrecher vor Gericht zu bringen, doch vorerst hatte er genug Gewalt, Tod und Bestechung gesehen. Außerdem hatten die Nachwirkungen einer unglücklichen Liebesbeziehung im Jahr zuvor Sano zu einem bedrückten und einsamen Menschen werden lassen.
Nun freute er sich auf eine Pause von der beschwerlichen und gefahrvollen Arbeit, denn der Shôgun hatte ihm einen Monat Urlaub gewährt. Und Sano hieß die Aussicht auf ein paar leidenschaftliche Wochen mit der hübschen jungen Ueda Reiko mehr als willkommen, zumal sie beide bereits seit einem Jahr verlobt waren. Und er sehnte sich nach Kindern, besonders nach einem Sohn, der den Namen seiner Familie fortleben und einst sein Amt des sôsakan erben würde, des obersten Ermittlers des Shôguns. Diese Zeremonie war mehr als ein bloßes Ritual, das Sano und Reiko zu Mann und Frau machte: Für Sano stellte sie das Tor in eine Welt dar, in der er seine sehnlichsten Wünsche erfüllen konnte.
Einer der Priester setzte eine Flöte an die Lippen und spielte eine Folge hoher, klagender Laute, während der andere einen dumpfen Begleittakt auf einer hölzernen Trommel schlug. Nun kam der feierlichste und heiligste Teil der Hochzeitszeremonie. Die Musik verstummte. Ein Diener schenkte geweihten Reisschnaps in ein langstieliges Gefäß aus Messing, mit dem er dann zu Sano und Reiko ging. Ein anderer Diener stellte ein Tablett vor dem Brautpaar ab, auf dem sich drei flache hölzerne Schalen von unterschiedlicher Größe befanden, die ineinander gesetzt waren. Der Diener hob den Krug und füllte die oberste und kleinste Schale mit Sake, verbeugte sich und reichte die Schale der Braut. Die Versammelten verfolgten die Zeremonie in erwartungsvollem Schweigen.
Harume öffnete die Lackschatulle und nahm ein Rasiermesser mit langer, schimmernder Stahlklinge, ein Messer mit Perlmuttgriff und ein kleines, viereckiges Fläschchen heraus, welches mit einem Stöpsel verschlossen war, auf dem in goldenen Schriftzeichen Harumes Name stand. Sie zitterte vor Angst, während sie diese Gegenstände vor sich hinlegte. Harume fürchtete sich vor körperlichem Schmerz, und sie hasste es, wenn Blut floss. Und man durfte sie nicht sehen! Würde jemand die Zeremonie stören? Oder – schlimmer noch – ihre geheime, verbotene Liebschaft entdecken? Gefährliche Intrigen lagen wie finstere Schatten über dem Leben Harumes, und vielleicht gab es Leute, die nichts lieber sehen würden, als wenn man sie mit Schimpf und Schande aus dem Palast jagen würde. Doch die Liebe verlangte Opfer und machte es mitunter unumgänglich, Risiken einzugehen. Mit zitternden Händen schenkte Harume Reisschnaps in die zwei Schalen: Die eine war für sie selbst bestimmt, die andere eine rituelle Gabe an ihren fernen Geliebten. Harume setzte die Schale an die Lippen und trank. Die Tränen traten ihr in die Augen, so scharf brannte der Schnaps in ihrer Kehle; doch er steigerte auch ihren Mut und ihre Entschlossenheit. Harume griff nach dem Rasiermesser.
Schwarze krause Strähnen fielen zu Boden, als Harume sich vorsichtig das Schamhaar rasierte. Als sie fertig war, legte sie die dünne Klinge beiseite und nahm das andere Messer.
Reiko, deren Gesicht noch immer hinter dem weißen Schleier verborgen war, hob die Schale mit dem Sake an die Lippen und nippte daran, ein Vorgang, den sie dreimal wiederholte. Dann füllte der Diener die Schale nach und reichte sie Sano. Auch er trank drei Schlucke, wobei er sich vorstellte, die flüchtige Wärme der zarten Finger seiner Braut auf dem polierten Holz zu spüren und die Süße ihres Lippenrots am Rand der Schale zu schmecken: die erste, wenn auch indirekte Berührung zwischen ihnen beiden.
Sano fragte sich, ob seine Hoffnung sich wohl erfüllen würde, dass die Ehe mit Reiko eine Verschmelzung zweier verwandter Seelen und zugleich eine körperliche und geistige Befriedigung für sie beide sein würde.
Ein Seufzen durchlief die Reihen der Versammelten. Das san-san-ku-do – das dreimalige Nippen an den drei verschiedenen Sakeschalen, das den Bund der Ehe besiegelte – sorgte wie bei allen Hochzeitsfeiern für Rührung unter
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