Das Geheimnis
Sanos Villa. Zwischen ihnen saßen Sano und Reiko, in formelle Seidenkimonos gekleidet, unter einem großen Schirm aus Papier, dem Symbol der Verliebten. Die Trennwände waren aus der Halle entfernt worden, sodass die 300 Gäste Platz fanden – Freunde und Verwandte, die Angehörigen von Sanos Sonderermittler-Truppe, Vorgesetzte, Untergebene sowie Vertreter bedeutender daimyo- Klans . Leuchtende Laternen hingen von der Decke herab, und die Luft war mit den Düften und Gerüchen von Speisen und Tabak, Weihrauch und Duftwässern gesättigt.
»Wie der Regen nach einer Dürre lassen Feste wie dieses oft auf sich warten und sind deshalb umso willkommener«, sagte Noguchi. »Nun bitte ich Euch alle, mit mir gemeinsam dem Paar zu gratulieren und ihm eine lange und glückliche Ehe zu wünschen.«
Musikanten spielten eine fröhliche Melodie auf Samisen, Flöten und Trommeln. Diener ließen Krüge mit Reisschnaps und Schalen umhergehen; dann trugen sie Tabletts mit köstlichen Speisen auf. » Kanpei!«, erklangen Rufe aus der Schar der Gäste. Sano, dessen Herz vor Freude überströmte, tauschte mit Reiko ein strahlendes Lächeln.
Die Ermittlungen im Mordfall waren abgeschlossen, wenngleich sie anders geendet hatten, als Sano es sich gewünscht hätte. Der gewaltsame Tod von Fürst und Fürstin Miyagi machte ihm noch immer zu schaffen – wie auch die Hinrichtung des Schauspielers Shichisaburô. Sano hätte ahnen müssen, dass Kammerherr Yanagisawa den Schauspieler opfern würde, um den eigenen Kopf zu retten. Leutnant Kushida schließlich war auf einen Posten in der Provinz Kaga versetzt worden, wo er die Möglichkeit bekommen sollte, sich von seiner Besessenheit zu befreien, was Harume betraf, und ein neues Leben zu beginnen.
Doch später blieb mehr als genug Zeit, den Fall noch einmal gründlich zu überdenken und Lehren daraus zu ziehen, um in der Zukunft bessere Ergebnisse zu erzielen. In den Palast zu Edo jedenfalls war wieder verhältnismäßiger Frieden eingekehrt, und der heutige Abend bot die Möglichkeit, eine Zeit lang von den Grübeleien über die Ereignisse der Vergangenheit wegzukommen. Deshalb war diese Feier jetzt um vieles wichtiger als zu dem Zeitpunkt, an dem sie ursprünglich hatte stattfinden sollen. Und Sano schien es ein angemessener Preis dafür zu sein, dass die gemeinsamen Nachforschungen von Reiko und ihm die Bande zwischen ihnen beiden noch enger geschmiedet hatten. Unter den weiten Ärmeln ihrer Gewänder drückten sie einander die Hände.
Magistrat Ueda erhob sich, um die erste Ansprache zu halten. »Die Ehe ähnelt dem Zusammenfluss zweier Ströme: Zwei Menschen, zwei Familien kommen zueinander. Wenngleich bei einem solchen Zusammenfluss mitunter stürmische Wasser entstehen, möge der neue und mächtigere Fluss weiter in eine Richtung strömen. Zwei Kräfte haben sich zum beiderseitigen Nutzen vereint!« Stolz strahlte er Reiko und Sano an und hob seine Schale mit Reisschnaps. »Ich trinke auf die Verbindung unserer beiden Klans.«
Die Gäste jubelten und tranken. Hausmädchen schenkten Reiko und Sano Reisschnaps nach. Als nächster erhob sich Hirata. »In den 18 Monaten«, begann er, »die ich nun dem sôsakan-sama diene, habe ich immer wieder erkannt, welch vorbildlicher Samurai und Herr er mir ist. Umso mehr freut es mich, dass er nun eine Gemahlin hat, die einen ebenso lauteren Charakter besitzt wie er und die nicht minder ehrenhaft und tapfer ist. Ich gelobe, ihnen beiden treu zu dienen, solange ich lebe!«
Wieder erklangen Jubelrufe; wieder wurden Sakeschalen nachgefüllt. Dann kam ein Beamter in den Empfangssaal und verkündete: »Seine Hoheit, der Shôgun, und seine Mutter, die ehrenwerte Fürstin Keisho-in!«
Tokugawa Tsunayoshi betrat den Saal, würdevoll in seinen leuchtend bunten Umhängen und mit der schwarzen Mütze. An seiner Seite tippelte die lächelnde Keisho-in. Die Versammelten verneigten sich tief, doch der Shôgun bedeutete ihnen, sich aufzurichten. »Heute Abend sind wir alle … äh, Kameraden«, sagte er leutselig und verzichtete auf Förmlichkeiten, indem er und Keisho-in vor dem Podest Platz nahmen. Dann wandte er sich an Sano. »Meine Mutter möchte Euch ein ganz besonderes Hochzeitsgeschenk machen.«
Vier Priester schleppten einen großen buddhistischen Altar durch die Tür. Die Versammelten beobachteten in ehrfürchtigem Staunen, wie Ryuko die Männer anwies, den Altar in einer Ecke abzustellen. Grässliche geschnitzte Drachen, Gottheiten und ganze
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