Das Geheimnis
und deren Zofen für die Hochzeitsfeier des sôsakan-sama einzukleiden: Prachtvolle Seidenkimonos wurden angelegt, Ge sichtspuder und Schminke aufgetragen. Doch Harume konnte die erstickende Gesellschaft so vieler anderer Frauen kaum mehr ertragen, wenngleich sie erst seit acht Monaten im Palast wohnte; deshalb hatte sie beschlossen, der Feier fernzubleiben. In der drangvollen Enge der Frauengemächer gab es praktisch kein Privatleben, doch an diesem Tag waren sämtliche Konkubinen in den Schmink- und Ankleideräumen, und die Palastbeamten hatten mehr als genug zu tun, sodass Harume nicht gestört wurde.
Harume war die Lieblingskonkubine des Shôguns und die Zofe seiner Mutter, Fürstin Keisho-in; doch die Fürstin benötigte Harumes Dienste heute nicht. Die junge Konkubine hoffte, dass niemand sie vermissen würde, denn sie wollte die Möglichkeiten voll ausschöpfen, die ihr das ungewohnte Alleinsein bot.
Sie schob den Türriegel vor und schloss die Fensterläden. Dann zündete sie Öllampen und Weihrauchbrenner an, die auf einem niedrigen Tisch standen. Die flackernden Flammen warfen Harumes Schatten an die papierenen, von Längspfosten gestützten Wände, während sich der schwere, süßliche Duft des Weihrauchs im Gemach ausbreitete, das mehr und mehr von einer Atmosphäre der Stille und Heimlichkeit durchdrungen wurde. Harumes Herz schlug schneller, als eine heftige Erregung von ihr Besitz ergriff. Sie stellte eine schwarze Lackschatulle auf den Tisch, deren Deckel mit goldenen Einlegearbeiten verziert war, dazu eine Karaffe aus Porzellan, die Reisschnaps enthielt, sowie zwei Trinkschalen. Harumes Bewegungen waren bedächtig, voller Anmut und einem Ritual wie diesem angemessen. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür und lauschte.
Draußen herrschte Stille; offenbar hatten die anderen Konkubinen sich für die Feier fertig angekleidet und befanden sich nun auf dem Weg zum Bankettsaal. Harume eilte zu dem kleinen Altar zurück, den sie errichtet hatte. Ungeduldig streifte sie ihr glänzendes, hüftlanges schwarzes Haar über die Schultern nach hinten. Dann band sie ihre Schärpe los und schlug ihre roten Seidenröcke vorn auseinander, bis der untere Teil ihres Körpers entblößt war. Von der Hüfte abwärts nackt kniete sie nieder.
Voller Stolz betrachtete sie sich. Mit 18 Jahren besaß sie noch die Frische der Jugend, zugleich aber schon die Reife einer erwachsenen Frau. Die reine, elfenbeinfarbene Haut ihrer prallen Oberschenkel war ebenso makellos wie ihre runden Hüften und ihr straffer Leib. Mit den Fingerspitzen streichelte Harume über das seidige Dreieck ihres Schamhaars. Sie lächelte, als sie daran dachte, wie seine Hände sie dort gestreichelt hatten, wie seine Lippen ihren Hals liebkosten, und wie sie gegenseitig ihre Leidenschaft entflammt hatten. Harume sonnte sich in der Gewissheit, ihn für alle Ewigkeit zu lieben – eine Liebe, für die sie nun einen unauslöschlichen Beweis erbringen würde.
Einer der Priester ließ einen armlangen Stock durch die Luft sausen, an dem weiße Papierstreifen befestigt waren, und rief: »Das Böse hinaus! Das Gute herein! Huiii! Huiii!«, um das Zimmer von Dämonen zu säubern. Dann ließ er einen Sprechgesang hören, eine Anrufung der hohen shintoistischen Gottheiten Izanagi und Izanami, die einst das Weltall gezeugt hatten.
Als Sano die vertrauten Worte vernahm, entspannte er sich. Die zeitlose Zeremonie der Anrufung vertrieb seine letzten Zweifel und Ängste, und zum ersten Mal stieg freudige Erwartung in ihm auf. Mochten die Unwägbarkeiten dieser Ehe auch noch so groß sein – er wollte Reiko zur Frau. Im fortgeschrittenen Alter von 31 Jahren war Sano bereit, den Schritt in die Ehe zu tun und als Oberhaupt einer eigenen Familie seinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Es wurde Zeit, dass er seinem Leben diese neue Richtung gab.
Die 20 Monate, die er nun als sôsakan-sama des Shôguns diente – als der ›höchst ehrenwerte Ermittler von Ereignissen, Situationen und Personen‹ –, waren ein ununterbrochener Kreislauf von Nachforschungen in Mordfällen und anderen Verbrechen gewesen, von unsinnigen Schatzjagden und riskanten Bespitzelungen. Der gefährliche Höhepunkt war eine Reise nach Nagasaki gewesen, die beinahe in einer Katastrophe geendet hätte. Auf dieser Reise hatte Sano Nachforschungen über den Mord an einem holländischen Händler angestellt – und war angeschossen worden, wäre beinahe bei lebendigem Leibe verbrannt, wurde wegen
Weitere Kostenlose Bücher