Das Geheimnisvolle Haus : Kriminalroman
er sich auch verneigt haben. Es kam ihm gar nicht darauf an.
»Ich habe einen Brief von Ihnen bekommen.« Sie trat an die andere Seite des Tisches, legte ihre Hand auf die Kante und sah ihn halb verächtlich, halb furchtsam an, wie ihm schien.
Er verneigte sich wieder. Er hatte zwar außer seinem Chef niemandem geschrieben, aber er hatte ein weites Gewissen.
»Ich schreibe viele Briefe«, erwiderte er gleichgültig, »und ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihnen geschrieben habe oder nicht. Vielleicht kann ich den Brief einmal sehen?«
Sie öffnete ihre Handtasche, nahm einen Umschlag heraus, zog das Schreiben hervor und reichte es dem jungen Mann, der es interessiert betrachtete. »Der schlechte Ruf« stand als Briefkopf auf dem Bogen, aber die Adresse war durch einen dicken Federstrich unleserlich gemacht worden. Der Brief lautete:
Sehr geehrte gnädige Frau,
ich habe einige sehr wichtige Nachrichten erhalten, die Ihre Beziehungen zu Captain Brackly betreffen. Ich bin sicher, Sie können nicht dulden, daß Ihr Name mit diesem Mann in irgendeiner Weise verknüpft wird. Als Tochter und Erbin des verstorbenen Sir George Billk könnten Sie natürlich denken, daß Ihr Reichtum und Ihre Stellung in der Gesellschaft Sie von dem Gerede anderer Leute unabhängig machen, aber ich kann Ihnen versichern, daß die Mitteilungen, die mir zugegangen sind, schwerwiegende Folgen haben würden, wenn ich sie Ihrem Gatten unterbreitete.
Damit die Sache keine weiteren Kreise zieht und um Ihre Verleumder zum Schweigen zu bringen, ist unser Nachforschungsdepartement bereit, diese Skandalgeschichte zu unterdrücken. Die Kosten hierfür belaufen sich auf zehntausend Pfund, die in Banknoten an mich bezahlt werden müssen. Wenn Sie meinen Vorschlag annehmen, setzen Sie bitte eine Annonce in die Spalte »Verloren und gefunden« des »Megaphone«. Ich werde dann eine Zusammenkunft arrangieren, bei der Sie mir das Geld zahlen können. Versuchen Sie aber unter keinen Umständen, an mein Büro zu schreiben oder mich persönlich dort sprechen zu wollen.
Hochachtungsvoll J. Brown
Poltavo las den Brief, und nun war ihm plötzlich die Aufgabe dieser Zeitung klar. Er faltete den Brief wieder zusammen und händigte ihn der jungen Dame aus.
»Vielleicht ist es nicht sehr klug von mir gehandelt«, sagte sie, »aber ich weiß, was Erpressung ist und wie Erpressung bestraft wird.«
Poltavo befand sich in einer gewissen Verlegenheit, aber nur einen Augenblick.
»Ich habe diesen Brief nicht geschrieben«, erwiderte er freundlich, »er wurde ohne mein Wissen abgesandt. Wenn ich vorhin sagte, ich sei der Herausgeber der Zeitung, so wollte ich damit nur andeuten, daß ich der stellvertretende Redakteur bin. Mr. Brown führt seine Geschäfte ganz unabhängig von mir. Ich weiß natürlich alles, was in der Redaktion vorgeht«, fügte er eilig hinzu, denn er war sehr begierig auf weitere Informationen, die ihm die junge Dame sicher nicht verweigerte, wenn sie ihn für einen maßgebenden Redakteur hielt. »Und ich kann Ihnen nachfühlen, daß Sie durch diesen Brief sehr beunruhigt worden sind.«
Ein Lächeln spielte um ihre Lippen. Poltavo war ein scharfer Beobachter von Frauen und wußte sofort, daß sie nicht nachgiebig und furchtsam war, sich auch nicht aus Angst vor Bloßstellung einschüchtern ließ.
»Ich kann diese Sache Captain Brackly und meinem Mann zur Regelung überlassen. Diesen Brief werde ich meinen Rechtsanwälten zeigen und ebenso den beiden Herren, die er angeht.«
Poltavo hatte gesehen, daß der Brief vor vier Tagen geschrieben war, und er sagte sich, daß »die beiden Herren, die er anging«, ihn niemals zu sehen bekommen würden, wenn er ihnen nicht schon in der ersten Erregung und im ersten Ärger gezeigt worden war.
»Ich glaube, Sie sind sehr klug«, erwiderte er beschwichtigend. »Was bedeutet überhaupt eine so kleine Unannehmlichkeit? Wer kümmert sich denn um die Veröffentlichung von ein paar Briefen?«
»Hat er tatsächlich Briefe?« fragte sie schnell mit verändertem Ton.
Poltavo verneigte sich wieder.
»Werden sie bestimmt zurückgegeben, wenn die Summe bezahlt wird?«
Poltavo nickte, und sie biß sich nachdenklich auf die Lippen.
»Ich verstehe.«
Sie schaute wieder auf den Brief, und ohne ein weiteres Wort verließ sie den Raum.
Poltavo begleitete sie bis zur äußeren Tür.
»Das ist die gerissenste Art der Erpressung«, sagte sie, als sie fortging, aber sie sprach ohne Erregung. »Ich habe jetzt nur noch zu
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