Das Geheimnisvolle Haus : Kriminalroman
hatte, stirnrunzelnd aus der Hand, erhob sich aus seinem Lehnstuhl, zog den Schlafrock dichter um seinen etwas behäbigen Körper und trat an das Fenster. Die Jalousien waren heruntergelassen, aber er steckte die Finger zwischen zwei Brettchen und bog sie so, daß er durchschauen konnte.
Die Fenster waren beschlagen, und die Straßenlaternen waren nur undeutlich und verschwommen zu sehen. Er rieb die Scheiben mit den Fingerspitzen klar.
Zwei Männer standen vor dem Haus, mitten auf dem einsamen Fahrdamm. Sie sprachen erregt miteinander. Mr. Farrington konnte selbst durch das geschlossene Fenster ihre harten Stimmen hören. An ihren heftigen Gesten erkannte er sie als Italiener.
Er sah, daß der eine seine Hand hob, um den anderen zu schlagen, und er sah das Blitzen eines Pistolenlaufes.
»Hm!« sagte Mr. Farrington.
Er war allein in seinem schönen Haus am Brakely Square. Der Hausmeister, die Köchin und ein Stubenmädchen, auch der Chauffeur waren zu einem Dienstbotenball gegangen. Die Stimme auf der Straße wurde lauter.
»Dieb!« hörte er plötzlich in französischer Sprache rufen. »Soll ich mich denn bestehlen lassen -« Den Rest konnte er nicht mehr verstehen.
Auf der anderen Seite des großen Platzes war ein Polizist erschienen. Mr. Farrington rieb die Glasscheibe energischer und schaute ängstlich nach dem Beamten. Dann ging er die Treppe hinunter, öffnete die Metallklappe seines Briefkastens und lauschte. Es war nicht schwer, alles zu verstehen, was sie sagten, obgleich sie jetzt leiser sprachen, denn sie standen am Fuß der Stufen, die zu der Haustür führten.
»Was willst du eigentlich? « fragte der eine auf französisch. »Es ist eine Belohnung ausgesetzt - da könnte man Geld verdienen, gewiß! Aber wenn man ihn selbst packt, kann man genug für zwanzig bekommen! Unglücklicherweise haben wir beide dieselbe Absicht, aber ich schwöre dir, daß ich dich nicht betrügen will -« Dann wurde seine Stimme ganz leise.
Mr. Farrington stand in der dunklen Eingangshalle, kaute an dem Ende seiner Zigarre und versuchte, die einzelnen Bruchstücke dieser Unterhaltung zusammenzusetzen. Die beiden Männer mußten Komplicen oder Helfershelfer von Montague Fallock sein, diesem Erpresser, nach dem die Polizei aller Länder Europas suchte. Und sicher hatten die beiden unabhängig voneinander den Plan gefaßt, ihn zu erpressen - oder ihn zu verraten.
Mr. T. B. Smith bewohnte ebenfalls ein Haus am Brakely Square. Er war ein hoher Beamter im Polizeipräsidium und sehr begierig darauf, Montague Fallock zu fassen. Mr. Farrington, der all dies genau wußte, war sich darüber klar, daß das wohl der Grund der eben gehörten Unterhaltung vor dem Tor seines schönen Hauses war.
»Ich sage dir ja gerade«, erklärte der zweite Mann jetzt ärgerlich, »daß ich alle Vorkehrungen getroffen habe, um Monsieur - aufzusuchen. Das mußt du mir glauben -«
»Dann wollen wir zusammen gehen«, erwiderte der andere bestimmt. »Ich traue niemandem, am allerwenigsten einem unzuverlässigen Neapolitaner -«
Der Polizist Habit hatte nichts von dem Streit gehört, wie aus der späteren Untersuchung hervorging. Er sagte ganz bestimmt aus: »Ich hörte nichts Außergewöhnliches.«
Aber plötzlich waren, kurz nacheinander, zwei Schüsse gefallen.
Sie waren unverkennbar aus einer oder zwei Browningpistolen abgefeuert worden. Dann schrillte eine Polizeipfeife auf, und der Schutzmann P. C. Habit eilte in die Richtung, aus der die Schüsse gekommen waren. Er blies laut auf seiner eigenen Alarmpfeife.
Als er ankam, fand er drei Männer, von denen zwei tot auf dem Boden lagen. Der dritte war Mr. Farrington, der zitternd vor dem Eingang seines Hauses stand. Er hatte eine Alarmpfeife im Mund. Sein grauer Schlafrock flatterte im Wind.
Zehn Minuten später erschien Mr. T. B. Smith auf der Bildfläche. Bei seiner Ankunft hatte sich schon eine große Menschenmenge angesammelt, die Hälfte aller Schlafzimmerfenster am Brakely Square war von neugierigen und sensationslüsternen Menschen besetzt, auch die Rettungswache war schon erschienen. »Sie sind tot«, berichtete der Polizist.
T. B. Smith schaute auf die beiden Männer, die auf dem Boden lagen. Offensichtlich waren es Ausländer. Einer war sehr gut, fast vornehm gekleidet, der andere trug einen etwas abgenützten Kellnerfrack unter einem langen Ulster, der ihn vom Hals bis zu den, Füßen einhüllte.
Die beiden Männer lagen beinahe Kopf an Kopf, der eine auf dem Gesicht, mit dem
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