Das Geiseldrama
abzusetzen.
Görr wischte sich Schaum von
der Oberlippe. Er war 35 Jahre alt und so weißblond, daß er von weitem
glatzköpfig wirkte. Er hatte fischige Augen und einen Seehundsbart.
„Manchmal frage ich mich“,
sagte Dikal, „warum ich eigentlich Pauker bin. Ich kann die Bälger nicht
ausstehen.“
„Hast du Ärger in der Penne?“
„Jeden Tag. Die Rotznasen
merken, daß ich sie nicht leiden kann. Sie haben mich Molch getauft.“
„Bist wohl kein Vorbild für
sie?“ Görr grinste.
„Vorbild? Ich hatte kein
Vorbild als ich so alt war wie die. Und heute habe ich nur eins: Dschingis Khan (mongolischer Eroberer). Der hat kurzen Prozeß gemacht mit denen, die ihm
nicht paßten.“
„Wäre das dein Job?“
„Warum nicht? Man müßte mal
aufräumen in diesem Land. Aber das getraut sich keiner. Wir sind alle
verweichlicht. Wer hat noch den Mut, sich außerhalb der Gesellschaft zu
stellen? Doch nur die...äh, ja... die sogenannten Terroristen. Denen stinkt es.
Und sie verhalten sich folgerichtig — wenn’s sein muß bis zum bitteren Ende.“
„Das sind doch Spinner.
Kriminelle Spinner.“
Dikal umklammerte sein Glas.
„Das würde ich nicht sagen. Es sind Persönlichkeiten — glaube ich. Aber man muß
sie mit anderen Maßstäben messen.“
Görr zuckte die Achseln. Das
Thema interessierte ihn nicht. Seine Interessen waren ohnehin begrenzt. Geld
und schickes Leben — sonst gab es nichts für ihn.
„Was ich dich schon immer mal
fragen wollte, Jens: Wozu brauchst du die Jagdhütte?“
„Dort enspanne ich, wenn mir
alles andere bis hierher steht.“ Dikal legte die flache Hand an seinen
rotblonden Fransenbart. „Dort fühle ich mich wohl.“
„Freut mich. Beinahe hätte ich
sie nämlich für mich behalten.“ Er winkte dem Schankkellner, ihm ein zweites
Bier zu bringen.
Dikal hatte schon das dritte
geleert. „Ach? Ich dachte, als Makler hast du jede Menge Auswahl.“
„Schon. Aber die Hütte ist ein
Glücksfall. Sie gehört einem alten Knacker, der sie nicht mehr nutzt. Er
schwimmt zwar in Geld, wollte aber unbedingt, daß auch die Hütte noch was
einbringt. Ursprünglich war die Miete doppelt so hoch. Das mußte ich ihm
ausreden. Da hätten wir keinen Mieter gefunden. Tja, ich wollte sie eigentlich
wegen Edith.“
„Ich denke, du bist nicht
verheiratet“, sagte Dikal.
„Edith
ist meine Bekannte. Sie arbeitet in einer Bar. Von abends 9 Uhr bis früh um
vier. Tagsüber pennt sie. Manchmal weiß sie kaum noch, wie Tageslicht aussieht.
Na, und an ihrem freien Tag will sie dann unbedingt raus in die Natur. Ins
Grüne. Die Hütte wäre das Richtige gewesen. Jetzt kommt es mich teuer. Weil wir
jedesmal in einem schicken Landgasthof landen. Und die langen kräftig zu — was
die Rechnung betrifft.“
Dikal feixte. „Wenn ich die
Hütte nicht mehr brauche, sage ich’s dir rechtzeitig.“
„Vielleicht gehört sie mir
dann.“ Görr beobachtet zwei junge Frauen.
Sie hatten gespielt und setzten
sich an einen der Tische, um Kaffee zu trinken.
„Du willst sie kaufen?“ Dikal
folgte Görrs Blick. Aber die Frauen gefielen ihm nicht.
„Erben.
Vielleicht.“
„Die Hütte?“ fragte Dikal
erstaunt.
„Ich hoffe, er hat soviel
Anstand“, nickte Görr. „Der alte Knacker, dem sie gehört, ist ein gewisser Paul
Hagedorn. Wie gesagt: Er schwimmt in Geld. Und er ist leidenschaftlicher
Sammler. Glas sammelt er. Fayencen, bemalte Töpferware. Da gibt es Sachen! Er
hat mir einiges gezeigt. Weißt du, die Anfänge auf dem Gebiet liegen über 3 000
Jahre zurück. Wundervolle Kunstwerke wurden geschaffen. Tja, und er... Sag mal,
Jens, du hältst doch die Schnauze?“
Der Molch reckte sich zu voller
Größe. „Mir kannst du vertrauen, Otto!“
„Ist ja auch nichts Schlimmes.
Jedenfalls: Hagedorn ist wie verrückt nach einem bestimmten Stück. Das ist ein
aramäischer Lüsternfayence-Teller von 1210. Irre kostbar. Den kauft er morgen
nacht. Weil ich ihm das Geschäft vermittele.“
„Was? Sowas machst du auch?“
Görr grinste. „Man muß die
richtigen Leute kennen. Der Verkäufer kommt aus der Schweiz. Morgen nacht ist
er hier. Er bringt das schöne Stück mit. Bezahlt wird er in bar. 350 000 Mark
muß Hagedorn locker machen. Stell dir vor, er hat das Geld bei sich im Haus.
Und kann’s nicht abwarten, daß er es los wird.“
„Ist aber ziemlich
ungewöhnlich, daß man so ein Geschäft in bar macht.“
„Der Teller, weißt du, wurde
einem andern Sammler gestohlen.“
„Ach?“ Dikal
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