Das Geiseldrama
beträchtlich. Und ausgerechnet
jetzt sprang die nächste Ampel auf Grün. Ohne Verzögerung rollten die Wagen
weiter.
„Schafft er nie“, sagte
Klößchen. „Aber auf diese Weise kommt er endlich mal dazu, sich ein bißchen zu
bewegen. Bevor er ganz einrostet. Ist wirklich ein Jammer, daß er so gar nichts
von Sport hält.“
„Von wem sprichst du?“
erkundigte sich Gaby. „Ich kenne nur einen, auf den das zutrifft. Und der heißt
Willi.“
Sie beschlossen, zu ihr zu fahren.
Wenn keine Zeit blieb, was auszumachen — in Situationen wie dieser —, war Gabys
Adresse die Anlauf stelle für alle TKKG-Freunde.
Während die drei also gemütlich
durch den Nachmittag zum Altstadtviertel radelten, sprintete Tarzan, als ginge
es um sein Leben.
Weit vor sich sah er Dikals
metallicgrünen Chaussee-Flitzer. Ein Dutzend Wagen dahinter nebelte ihn mit
Abgasen ein. Die Ampeln hatten auf Durchlaß geschaltet. Mit 50 km/h rollte die
Blechlawine. Es war eine der Hauptverkehrsadern der Stadt, aber die Bebauung
nach dem Krieg hatte es unmöglich gemacht, jetzt — da man klüger plante —
Radwege anzulegen. Als einziger Radler unter Motorisierten bewegte Tarzan sich
auf dieser Strecke. Er hatte keine Möglichkeit, Boden gutzumachen. Im
Gegenteil: Er fiel weiter zurück.
Nahe der UNTEREN PROMENADE
senkte sich die Fahrbahn in einen Straßentunnel. Dikals Wagen war nicht mehr zu
sehen. Die andern schalteten die Scheinwerfer ein.
Bin doch kein Esel! dachte
Tarzan. Was nicht geht, das geht nicht. Dann eben beim nächsten Mal.
Er streckte den rechten Arm zur
Seite und schwenkte in die letzte Abzweigung vor dem Tunnel: in eine
Einbahngasse, wo es ruhiger zuging.
Auf Nebenstraßen trat er den
Rückweg an.
6. Im
Quartier der Terroristen
Tarzan konnte nicht ahnen, wie
wenig ihn von einer Entdeckung trennte, die sensationell gewesen wäre.
Dikal fuhr nämlich nur ein
kurzes Stück weiter. Jenseits des Tunnels, wieder im Tageslicht, schaltete er
die Scheinwerfer aus. Die Schnellstraße führte geradeaus. Rechts konnte man
abzweigen in die UNTERE PROMENADE.
Vor Jahrzehnten war das eine
Prachtstraße gewesen. Aber das Viertel hatte abgewirtschaftet. Industriebetriebe
entstanden in der Nähe. Die feinen Leute verkauften ihre Villen und siedelten
sich in anderen Stadtteilen an. Die Villen standen noch. Aber sie waren
inzwischen sehr alt geworden. Viele hatten hundert Jahre auf dem Buckel — und
mehr. Baufälligkeit — wohin man sah. Um die kleinen Gärten mit ihren
schmiedeeisernen Zäunen kümmerte sich niemand.
Dikal parkte vor Nr. 17.
Das Haus hatte Giebel, Erker
und Türmchen. Es war hoffnungslos verwinkelt. In der Einfahrt stand ein alter
VW-Bus.
Die Fenster der straßenseitigen
Veranda waren dicht mit Gardinen verhängt.
Er klingelte am Eingang.
Die Tür hatte einen
Glaseinsatz. Auch hinter ihm hing eine Gardine.
Jetzt wurde sie etwas beiseite
geschoben. Dikal sah ein dunkles Auge. Die Gardine sank zurück. Die Tür öffnete
sich — gerade soweit, daß er ins Haus schlüpfen konnte.
„Es ist Jens“, rief die Frau.
Grinsend drückte er ihr die
Hand.
„Tag, Hanna.“
Hanna Neu reichte ihm nur knapp
bis zur Schulter. Sie war Mitte Zwanzig und sehr schmächtig. Das schwarze Haar
trug sie lang — aber nur hier im Haus. Draußen versteckte sie ihre Mähne unter
einer blonden Kurzhaar-Perücke. Sie hatte ein blasses Gesicht. Noch nie hatte
Dikal ihr Lachen gesehen. Ob sie überhaupt lachen konnte? Trotzdem war er
verschossen in sie.
„Sind die andern da?“ fragte
er.
„Arved und Martin“, nickte sie.
„Felix und Francesca baldowern was aus.“
„Nämlich?“
„Genau wissen wir’s noch nicht.
Wahrscheinlich müssen wir eine Bank knacken. In der Kasse ist Ebbe, wie du ja
weißt.“
Sie gingen durch leere Räume.
Holzdielen knackten.
Hanna Neu blickte in einen
rückseitig gelegenen Raum. Aber dort waren die beiden Männer der BRIGADE
STAATSFEIND nicht.
„Heh?“ rief sie ins
Treppenhaus.
„Wir sind oben“, antwortete
Arved von Lotzka, der Chef der Terroristengruppe.
Teile des Treppengeländers
fehlten. Im ersten Stock war ein großer Raum sparsam möbliert. Die Flügeltür
nach nebenan stand offen. Dort lagen Matratzen auf dem Boden.
„Hallo, Jens!“ sagte Martin
Macke. „Gut, das du kommst. Wahrscheinlich müssen wir dich anpumpen. Sonst
verhungern wir heute noch.“
„Kein Problem“, grinste Dikal.
Lotzka saß am Tisch und las
Zeitung. Aufblickend reichte er Dikal die Hand.
Macke war
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